20 Jahre 1998
Das letzte gute Jahr
Die große 50 Jahre Fleisch-Spezialausgabe.
Im Abo oder auch als Einzelheft (5€) erhältlich unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Die Erinnerung ist eine großartige Einrichtung, denn lange vor Instagram hat sie die Bedeutung von Filtern schon erkannt. Sie blendet Katastrophen aus, lässt die unschönen Nebengeräusche weg und gibt den schönen Dingen oft deutlich mehr Raum, als sie damals, als sie noch Gegenwart waren, wirklich hatten. Früher war halt schon alles immer ziemlich super, besser, natürlicher und menschlicher und irgendwie auch gescheiter. In den ganz stillen Momenten klopft dann manchmal eine kleine Ahnung: Früher waren wir, na ja, halt auch noch jung. „Fuck, waren wir jung“, denken wir uns, wenn wir dann alte Fotos rausklauben aus den verstaubten Kisten. Und damit sind keine iMacs gemeint. Und fuck, was war da alles noch möglich. Das Schlimmste am Älterwerden ist, dass sich die Möglichkeiten, was aus dem Leben noch werden könnte, so kontinuierlich verflüchtigen.
Also lasst uns einfach mal die Zeit anhalten, lasst uns erinnern
und gedenken. 2018 ist ein super Zeitpunkt dafür, 2018 ist das Supergedenkjahr. 100 Jahre Republik, 80 Jahre „Anschluss“, 50 Jahre 1968. Rund um die Uhr wird erinnert und gedacht, so sehr, dass endlich auch auf ORF III die Sendezeit knapp wird und Heinz Fischer als Zeremonienmeister des Gedenkens mehr Stress bekommt als in den Jahren seit 1998 insgesamt.
Apropos 1998. Eigentlich war das ein super Jahr. Wir sollten uns daran erinnern. Jetzt.
1998, was war da schnell nochmal? Nordirland hat den Frieden gefunden, Britney did it again, das Internet sollte uns alle erlösen und wir glaubten daran.
An dem Tag, als klar wird, dass es ein Impeachment-Verfahren gegen Bill Clinton geben wird, ist unser Fotograf im Weißen Haus.
In vielen Ländern Europas regieren plötzlich die Sozialdemokraten. Man ist sich sicher, dass ihnen die Zukunft gehört. Und ihren Popstars.
Gerhard Schröder hat lange am Zaun des deutschen Kanzleramts gerüttelt, dann war er auf einmal drin. Und wusste nicht, was er tun sollte.
Vor 20 Jahren war Ivica Vastic der Einzige im österreichischen Nationalteam, der woanders herkam. Den meisten war das schnurzegal. Aber nicht allen.
In den späten 90er beginnt die Boomzeit der neuen urbanen Elite. Ein Mobilfunkanbieter will gerade sie erreichen. Was das kostet, ist nicht so wichtig.
Natascha Kampuschs Kindheit war nicht perfekt. Und ihr letzter Tag in Freiheit war es auch nicht. Aber am 1. März ist sie einfach noch eines von vielen Kindern.
Mitte der 90er Jahre hatten die Gebrüder Fellner die Idee, auch ein Montagsmagazin zu gründen. Es folgt die absurde Medienschlacht "profil" gegen "Format".
Als Helmut Lang nach New York zieht, ist er ein Superstar, auf den die ganze Modewelt blickt. Über seine Kunst redete er immer so wenig als möglich.
1998 erschien Madonnas Album "Ray of Light". Zum ersten Mal wurde sie künstlerisch ernst genommen. Leider auch zum letzten Mal.
Destiny's Child machen 1998 Musik, die nach Zuckerwattenschaumparty klingt. Doris Knecht über die Musik und Karriere der Leadsängerin: Beyoncé.
Es gibt weder Tinder noch Facebook. Wer jemanden kennenlernen will, muss raus. Barbara Tóth über Liebe 1998 und was die Sexualität der Frau damit zu tun hat.
1998 dachten wir, mit Sex and the City hätte der Feminismus gesiegt – eine Taxifahrt an. Eva Weißenberger hat sich das nochmal angesehen.
1998 verübt Al-Quaida tödliche Anschläge auf US-Botschaften. Ihr Anführer, Osama bin Laden, lebt in der Nähe von Kandahar. So wie Janan, damals 11.
Fragt man Zeitzeugen, sagen sie: 98 war ein geiles Jahr. Aber ist da was dran? Unser Autor hat es einfach ausprobiert. Und gelebt wie vor 20 Jahren.
1998 spielt dieser bisher unveröffentlichte Text der Schriftstellerin Sibylle Berg.