Unter Linken

Fleisch 51, Frühjahr 2019 
Text: Superfleisch
Illustrationen: Ari Ban                              

 

Links sein, das war mal cool, erstrebenswert, Grundvoraussetzung, um überhaupt ins Flex reinzukommen. Dann ist aber etwas durcheinandergekommen. Wer ist heute überhaupt links? Das hängt meistens davon ab, wen man fragt. (Pro-Tipp: Für so richtig „links“ halten Linke meistens nur sich selbst.) Im Wesentlichen gibt es aber immer zutreffende Stereotype. Und welcher Typ bist du?

 


 

Der Fast-schon-wieder-Rechte, a.k.a. der alte weiße Mann

 

 

Verständnis haben – unter Linken ist das seit jeher ein großes Ding. Verständnis für Andersaussehende, Verständnis für Andersgläubige, man hat Verständnis für so ziemlich alles und jeden, und natürlich auch für Andersdenkende.
Was passiert aber, wenn jemand plötzlich mehr Verständnis für die ganz anders Denkenden hat als für die Mitglieder der eigenen politischen Gesinnung? Wenn jemand der Meinung ist, dass Migration der Gesellschaft heute nicht guttut, dass es gerechtfertigt ist, Österreicher bei der Vergabe von Wohnungen zu bevorzugen und dass man ausländische Straftäter einfach abschieben soll, am besten, bevor sie überhaupt
Straftäter sind?
Er wird dann entweder burgenländischer Landeshauptmann oder Journalist oder Gewerkschaftsfunktionär oder Twitter-Faktotum und bekommt dann jede Menge Auftritte beim „Talk im Hangar“ auf Servus TV und darf Gastkommentare in der „Presse“ oder im „profil“ schreiben (wobei nein: dort sogar die Leitartikel).

Aber sonst? Verständnis für Rechtsaußen zu haben, das ist so etwas wie der „Kick-Me“-Sticker des Linksseins. Heißt: Kann man haben, aber dann wird man halt durch die Manege geprügelt.

Ist das gerecht? Im besten Fall legen die Rechts-Versteher die Finger in die Wunden, an denen die widersprüchliche Linke laboriert, fordern mehr Pragmatismus und Realitätssinn, vielleicht sogar eine neue Struktur und mehr Öffnung ein.
Im schlechteren Fall geht es einfach um die Lust an der Provokation. Oder um das Gefühl, alles schon gesehen und sowieso immer recht gehabt zu haben, und den (meistens) jungen, (meistens) weiblichen (meistens) Selbstgerechten ordentlich die Meinung zu sagen.

Es kann ein Zufall sein (nein, ist es natürlich nicht!), aber meistens sind diese Typen männlich. Sie sind auch schon etwas älter. Sie haben eine Karriere in einer Partei hinter sich oder sind zumindest nur dank der Partei etwas geworden, aber eben nicht so viel, wie sie gerne geworden wären. Sie halten sich für jünger, als sie sind, und sie halten die meisten anderen für Idioten. Das trifft sich ganz gut, weil genau dafür werden sie vom großen Rest der Linken gehalten.

Innerhalb der Gruppe hört sich das Verständnis nämlich auf.

 

Die Aufsteiger

 

 

Die Aufsteiger sind so etwas wie der personifizierte Niedergang der Linken. Das sagen nicht wir (und auch nicht die alten Rechten unter den Linken, obwohl: die auch), sondern vor 26 Jahren der Liberale Ralf Dahrendorf und der wird in diesem Zusammenhang immer gern zitiert. Er ging davon aus, dass sich die Sozialdemokratie irgendwann zu Tode gesiegt haben wird, weil sie dafür gesorgt haben wird, dass es allen gut geht und deshalb niemand mehr eine sozialdemokratische Partei wählen muss.

Jeder, der schon mal eine Sekunde lang über die Parship-Werbung nachgedacht hat, weiß, dass an dem Gedanken irgendwas nicht stimmen kann (weil sich ja kein Unternehmen die eigene Geschäftsgrundlage entzieht, Anm.). Aber abgesehen davon gibt es heute wieder jede Menge Menschen (und wirklich nicht nur die alten Rechten), die diese Aufsteiger verantwortlich machen für den Niedergang der Sozialdemokratie.

Wer sind diese Aufsteiger? Menschen, die dank der sozialdemokratischen Politik der 70er Jahre studieren konnten. Menschen, die heute deutlich besser verdienen als ihre Elterngeneration. Menschen, die gerne mal in Innenstadtbezirken wohnen, ihren Aufstieg mit einem Wochenendhaus im Waldviertel versüßen oder – wenn sie es ganz weit nach oben geschafft haben – an einem Kärntner See. Viele, die heute in Partei und Parlamentsklub der SPÖ das Sagen haben, sind klassische Aufsteiger (abgesehen von den Politikern, die den Job in zweiter Generation machen wie Andi Schieder). Ihre Lebensrealität und ihr Lebensumfeld haben sich aber angepasst, und es muss gar nicht sein, dass sie sich teure Uhren gönnen wie Thomas Drozda oder teure Weine wie Alfred
Gusenbauer, oder sie spielen nicht mehr beim ASKÖ oder WAT Landstraße Tennis, sondern im WAC wie Pamela Rendi-Wagner. Viele meinen, dass sich ihre Politik deswegen nicht mehr an denen orientiert, die den Aufstieg noch vor sich haben, sondern an denen, die mit ihnen auf der WAC-Terrasse Prosecco bestellen.

Das spricht gar nicht gegen die Aufsteiger an sich, im Gegenteil, der Prosecco auf der WAC-Terrasse ist wirklich gut. Aber ob das wirklich genügend Wähler für einen Wahlsieg sind?

 

 

Die Hackler

 

 

Sie sind die Basis, sie sind der Ursprung und über Jahrzehnte hinweg waren sie es, die das linke Selbstbild bestimmten: die Arbeiter. Bei der Nationalratswahl 2017 hat allerdings nur mehr jeder fünfte Arbeiter die SPÖ gewählt, elf Jahre zuvor war es noch jeder zweite. Vor allem die Jüngeren haben sich zur FPÖ verabschiedet. Christian Kern überlegte laut, diese Gruppe für die SPÖ ganz aufzugeben, zuletzt hat sie laut dem Politologen Laurenz Ennser-Jedenastik nur mehr zehn bis zwölf Prozent der SPÖ-Stimmen gebracht.

Und vielleicht kann man auf diese Gruppe auch wirklich pfeifen. 2017 zählte die Statistik Austria noch 1,3 Millionen Arbeiter, ein Drittel von ihnen war mangels österreichischer Staatsbürgerschaft gar nicht wahlberechtigt. Die Anzahl der wahlberechtigten Arbeiter wird weiter sinken.

Aber was ist das überhaupt heute, ein Arbeiter? In den sozial-romantischen Köpfen taucht dann gerne mal der gewerkschaftlich organisierte Stahlkocher vom VOEST-Hochofen auf – und wahrscheinlich lässt deswegen die SPÖ diese in voller Arbeitsmontur so gerne aufmarschieren. Rein gehaltstechnisch liegt der aber deutlich über dem Einkommen, das das neue Prekariat mit Bachelorabschluss in Geistes- oder Sozialwissenschaften meistens hat. Das gilt für viele qualifizierte Facharbeiter, deren Sorgen und Probleme man wohl kaum mit denen von EPUs, die auf Honorarbasis arbeiten, vergleichen kann. Sie haben andere Probleme – und wahrscheinlich auch eine diffusere Abstiegsangst als die Kinder der Aufsteiger, die Powi studiert haben. Wahrscheinlich definieren
sie „Linkssein“ deswegen auch so ganz anders.

 

 

Die Pensis

 

 

Wenn man noch einmal „SPÖ wählen“ als Synonym für „Linkssein“ verwendet, dann führt an ihnen kein Weg vorbei. Die Pensionisten sind so etwas wie das Rückgrat der Bewegung, und je älter und weiblicher sie sind, desto treuer sind sie. Das war immer schon so, und immer wenn es eng war, dann hat die SPÖ genau diese Pensionisten aktiviert, von Franz Vranitzky bis zu Werner Faymann.

Zuletzt aber gab es da ein Problem: Christian Kern kam bei den alten Frauen zwar sehr gut an – Sebastian Kurz aber noch um einiges besser. Sie haben in ihm den idealen Schwieger-enkelsohn gesehen, der im Gegensatz zum tatsächlichen Typen ihrer Enkeltöchter noch Manieren hat und freundlich grüßt, vielleicht war er sogar der perfekte Enkel, weil er Hunde so gern hat und Ausländer eher nicht so.

Die SPÖ erzielte bei den Pensionisten 2017 also zwar weiterhin 34 Prozent der Stimmen, die ÖVP aber 36. Das ist traurig für die Linken, weil die Grünen hier wirklich überhaupt keine Rolle spielen. Und wenn die Linke bei den Omas keine Mehrheit mehr hat, dann war’s das für die Regierungsambitionen.

Warum ältere Menschen eher links wählen? Weil der Veränderungswille im Regelfall nicht mehr so ausgeprägt ist. Wer von den Älteren die SPÖ wählt, hat das oft schon sein Leben lang getan und es hat ihm offenbar nicht geschadet. Völlig zu Recht erwartet er, dass es immer so weitergeht. Die Besitzstandswahrer, die Verfechter der alten Linien, die Verteidiger der lange gewachsenen Strukturen, hier in dieser Gruppe sind einige zu finden, auf die diese Beschreibung vielleicht gar nicht so schlecht passt.

Aber natürlich auch andere.

 

 

Die Idealisten

 

 

T-Shirts mit „Che“-Aufdruck, Palästinensertuch, Chucks, Rotwein, aber auch gerne den um 10 Euro die Flasche, man ist ja nicht der Alfred. Bio, nachhaltig, Gras, weil alles andere ist schlecht für die Lunge und man hat eh schon so einen Husten, hin und wieder ein Bier im Chelsea oder im Flex, falls dort „Arcade Fire“ spielen. Suhrkamp-Taschenbücher, einen Lieferschein bei Lhotzkys Literaturbuffet, ein TAZ-Abo und den „Courrier international“. Klar, den „Standard“, klar, den „Falter“, wobei der nicht mehr so gut ist, seit der Mischa Jäger weg ist, und auch nicht mehr so oft wie früher, aber dieser Klenk, der macht seine Sache schon gut, er sollte halt nicht ganz so oft ins Fernsehen gehen. Das „profil“? Nein, das gehört doch jetzt der Raiffeisen.

Die Idealisten sind das gute Gewissen der Linken, ein bisschen so etwas wie in die Jahre gekommene Pomos mit deutlich verlangsamter Reaktion und mehr Gelassenheit. Idealisten fahren mit dem Fahrrad schon sehr viel länger, als es cool ist, sie wohnen nach wie vor in ihrer Studentenwohnung, sie haben nie geheiratet, aber eine wirklich gute Beziehung zu allen ehemaligen Partnern, sie waren mehrmals auf Kuba und fliegen heute gerne nach Griechenland. Sie mögen Kunst und Tee, sie nennen Heller „den Franzl“ und haben eine Schwäche fürs Kochen. Sie mochten Christian Kern, noch lieber aber Caspar Einem, sie schämen sich ein bisschen dafür, dass sie den Michael Häupl gewählt haben, dem sie diese Karriere nie zugetraut hätten. Noch mehr schämen sie sich allerdings dafür, bei der letzten Nationalratswahl in geistiger Umnachtung für Peter Pilz gestimmt zu haben. Aus purem schlechten Gewissen haben sie deswegen vor einem Jahr den Grünen 100 Euro überwiesen. Anonym. Jetzt werden sie ganz bestimmt den Werner wählen, das haben sie ihm letztens im Anzengruber auch persönlich gesagt.

Idealisten sind die, die das Linkssein irgendwie erträglicher machen.

 

Erschienen im Frühjahr 2019. Fleisch 51, bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

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