Das Interessanteste an René Benko ist, wie wahnsinnig uninteressant er ist, denn ehrlich: Nichts an ihm ist neu. Der Privatjet nicht und auch nicht die Jacht, der Hubschrauberplatz ist es nicht und auch nicht die Häuser in Lech und am Gardasee, und dass das alles mit Stiftungen abgesichert ist, na klar. Es gab schon vor René Benko Typen, die sehr jung sehr hoch pokerten und damit andere beeindruckten, so sehr, dass sie diesen Typen Geld gaben oder zumindest für sie arbeiteten. Bei Benko ist nicht einmal die Kunst interessant, die er gesammelt hat, und am allerwenigsten interessant ist der Luxus, den Benko an Menschen vertickert, die auch keine neuen Ideen dafür haben, was sie mit ihrem Geld anfangen könnten, außer genau das zu zeigen. Hätte er nicht von ein paar ehemaligen Politikern Honorarnoten bekommen (und die allermeisten davon auch bezahlt), René Benko wäre eine ziemlich langweilige Geschichte. Na schön, er hat sich halt verzockt, auch das kommt vor.
Auf eine ganz eigene Art ist das irritierend und beruhigend zugleich. Hat sich in den vergangenen Monaten nicht immer wieder bestätigt, was viele ohnehin schon vermuteten? Und war das nicht auch immer irgendwie ziemlich unverschämt? Die Chats von Thomas Schmid mit der halben Republik sind so ein Beispiel, ein anderes ist das Grundstück, das der Chef des Gemeindebunds um 630 Euro kaufte, das dann aber flugs 190.000 Euro wert war. Dass in Wiener Schrebergärten zweistöckige Häuser stehen oder dass ein Chefredakteur, der gehen musste, weil er bei Tom Schmid für sich als ORF-Chef lobbyierte, jetzt „Krone“-Chef wird, passt da auch ganz gut rein.
Irritierend ist das alles, weil es offenbar immer noch möglich ist, und beruhigend ist es, weil wir uns damit schon auskennen. Dass ein paar Leute sich die Dinge so richten, wie sie es brauchen, ist jedenfalls weniger verwirrend als der Nahostkonflikt, weniger beängstigend, als dass die Wirtschaftskrise zurückkommt, und weniger teuer als die Inflation. Wer verspricht, die Schiebereien zu bekämpfen, hat gute Chancen, damit durchzukommen, auch wenn er daran nichts ändern wird.
In großer Gelassenheit steuert Österreich deshalb gerade auf den Wahlsieg der FPÖ zu, und natürlich kann man sich an dieser Stelle fragen: Ist dieses Land komplett verrückt geworden? Die Älteren fühlen sich, als wären sie in einer Zeitschleife gefangen. Wie man die FPÖ stoppen kann, haben sie schon rauf und runter diskutiert, die Fehler, die jetzt passieren, sind früher auch schon passiert.
Es ist ein Loop, der offenbar einfach nicht aufhören soll, aber ja, es hat auch niemand auf ein 2000er-Jahre-Revival gewartet und trotzdem ist es passiert.
Anders als früher ist Österreich heute damit aber nicht allein. Die Argentinier:innen haben sich gerade ein ultraliberales Elvis-Imitat an die Staatsspitze gesetzt, die Amerikaner:innen sind drauf und dran, sich nächstes Jahr Trump zurückzuholen, obwohl schon sein erster Durchgang ein Desaster war, das die Gerichte jetzt aufarbeiten. Auch die Niederlande haben ihren Kickl gerade zur stärksten Kraft gemacht und Frankreich könnte dasselbe mit der rechtsrechten Marine Le Pen bei den Europawahlen wiederholen. Im Vergleich zu ein paar Politiker:innen, die international in den Umfragen gerade zulegen, erscheint Herbert Kickl fast schon unauffällig, und das liegt nicht nur an seiner Frisur. Es hat sich etwas verschoben.
Es ist ein seltsamer Zustand, in dem die Welt sich gerade befindet. Im besten Fall wird es zumindest nicht schlimmer. Im schlimmsten wird es aber richtig, richtig übel, denn anders als 2016 ist Trump dieses Mal vorbereitet. Gut möglich, dass die Ukraine den Krieg verliert und sich das Chaos im Mittleren Osten ausbreitet, dass noch mehr Flüchtlinge aufbrechen und sich der Westen noch mehr abriegelt, dass Trump und eine rechtskonservative EU-Kommission all die Schritte zurücknehmen, die den Klimawandel zumindest bremsen sollten, und dafür Förderungen verteilen, bis wirklich jede:r so viele Autos hat wie René Benko. Gut möglich, dass es heuer einen großen Schritt zurück in die Vergangenheit geht, aus Trotz bei den einen und aus Prinzip bei den anderen, damit die politischen Feinde nur ja nicht recht bekommen. In Spielberg finden sich sicher noch ein paar Löcher im Rennkalender für Jedermann-Rennen.
Es kann richtig übel kommen in den nächsten Jahren, aber interessant: Österreich bleibt gelassen. Die Regierung, die übrigens lange besser war als ihr Ruf, konzentriert sich gern auf die kleinen Dinge, zum Beispiel darauf, dass man Rechnungen über weniger als 30 Euro nicht mehr ausdrucken muss. Die SPÖ hingegen will die Matura abschaffen und die Inflation mit der Verfassung bekämpfen und hofft, mit diesem Unsinn so viele Stimmen zu bekommen, dass sie es in eine Dreierkoalition schafft. Die Gewerkschaft hätte nämlich endlich gern mal wieder das Sozialministerium, eine Pensionierungswelle steht an.
Es scheint, als hätten in Österreich alle die Wahl im nächsten Jahr schon als aussichtslos abgeschrieben, also alle außer der FPÖ: "Der Rechtsruck ist eben überall im Aufschwung“, heißt es dazu, als wäre er eine Naturgewalt. Aber auch ein Gewitter entsteht nicht aus dem Nichts. Irritierenderweise haben es Populist:innen offenbar gerade dort leicht, wo sie schon einmal gescheitert sind, weil die anderen Parteien glauben, dass sie nur warten müssten, dann erledige sich Rechtsaußen eh wieder von selbst. Interessant, wo sie diese Zuversicht hernehmen. Sie muss irgendwo in der Vergangenheit liegen.
Es ist jedenfalls faszinierend, wie aussichtslos die Lage scheint und wie wenig uns das alle kümmert, in Österreich, in Europa und in den USA.
Vielleicht sind wir durch Corona wirklich fatalistischer geworden, man nimmt die Sachen mehr, wie sie kommen, arrangiert sich oder zieht sich zurück ins Schneckenhaus, geht töpfern, macht Yoga und schaut, dass es der Familie gut geht. Vielleicht hat das auch mit der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zu tun, in denen die großen technischen Wunder jedes Mal ein paar Menschen sehr reich machten, den Großteil aber nicht. Zu den Wiener Charity-Galas im Dezember waren in der Regel immer noch keine Foodora-Fahrer:innen eingeladen. Influencer:innen schon, aber die sind ja zum Arbeiten da. Vielleicht haben wir keine Kraft, vielleicht haben wir aber auch einfach selbst keine neuen Ideen.
Die FPÖ und ihre verbündeten Parteien sagen: Keine Angst, es ist alles wie immer. Das Wetter war immer schon verrück, die Probleme sind immer schon von außen gekommen, mit Migrant:innen oder Richtlinien aus Brüssel, und die da oben haben es sich immer schon gerichtet. Mit der Spesenabrechnung von Heinz-Christian Strache hat die Partei den letzten Punkt zwar auch selbst unter Beweis gestellt, er funktioniert aber trotzdem. Österreich gehedie Beispiele dafür einfach nicht aus, oder, René?
Das Muster ist jedenfalls immer gleich: Wo sich niemand anderer gut um das Neue, Große und Verunsichernde kümmert und es einfach irgendwie drüberschweben lässt, haben es Populist:innen leicht, weil sie weiter so tun können, als wäre alles beim Alten. Und da kennen sie sich aus.
Was also kann man tun, in der Zeit, die noch bleibt, bevor es zurück in die Vergangenheit geht? Vielleicht ist es kein schlechter Moment, um einmal ein paar neue Sachen auszuprobieren, zum Beispiel, wirklich in der Gegenwart anzukommen. Die Vorzeichen haben sich geändert. Niemand will zum hundertsten Mal die ganzen Krisen aufzählen, aber Russland bedroht wirklich ganz Europa, mit Trump könnten die USA Europa wirklich sich selbst überlassen und die Zeit, in der wir den Klimawandel auf ein Plus von 1,5 Grad beschränken hätten können, ist abgelaufen. Gleichzeitig bricht gerade wirklich viel auf, wo Systeme bereits an ihre Grenzen stoßen. Gar nicht wenige Menschen in Ländern wie Österreich machen zum ersten Mal die Erfahrung, dass Produkte nicht verfügbar sind oder dass sie sich etwas, das sie fix eingeplant hatten, einfach nicht mehr leisten können. „Die fetten Jahre sind vorbei“ war mal der sehr gute Titel von einem nur mittelguten Film. Da stehen wir jetzt, mal wieder übrigens, und es ist nicht einmal mittelgut.
Auf Twitter wollen ein paar Menschen deshalb zum Beispiel die Wokeness abschaffen. Woke ist ein komplett ungenauer Begriff, unter dem jede:r etwas anderes versteht, man muss deshalb immer dazusagen, was man damit eigentlich meint. Die Wokeness, die sämtliche Opfer zu Heiligen macht, die eigene Erfahrung über alles stellt und Juden zu weißen Tätern deklariert, weshalb woke Linke trotz des Terrors vom 7. Oktober mit der Hamas sympathisieren, braucht niemand, der halbwegs klar im Kopf ist. Aber muss man deshalb gleich das Gendern abschaffen? Den Respekt, den man einem Menschen entgegenbringen kann, einfach indem man ihn richtig anspricht, und zwar so, wie er es als richtig empfindet? Seit Russland die gesamte Ukraine vernichten will, taucht immer wieder einmal die Frage auf, ob wir wirklich keine anderen Probleme als fünfzehn verschiedene Geschlechter hätten, während die Ukrainer:innen im Kampf gegen Russland sterben. Es ist ein ziemlich unsinniger Ansatz, um über gesellschaftliche Spannungen zu diskutieren, im besten Fall kommen wir schließlich an den Punkt, an dem die Lebensrealitäten verschiedenster Teile der Gesellschaft viel sichtbarer, aber die jetzt aufgestellten Opferhierarchien wieder verschwunden sind. Wir haben dann quasi ein Klo für alle statt fünfzehn verschiedene.
Was jetzt gerade droht, ist aber der totale Backlash. Alles, das Einzelnen mehr Freiheit gibt, sich selbst zu definieren, wirkt befremdlich, wo Politiker wie Karl Nehammer und Herbert Kickl Normalität beschwören, aber ausschließlich ihre Normalität damit meinen. Es ist widerlich, wie geschichtsvergessen sich linke Gruppierungen gerade aus einem kaputten Verständnis von Haltung und Gerechtigkeit heraus auf die Seite der Hamas schwingen, aber es ist auch erschreckend, wie dankbar viele dafür sind, dass sie jetzt Muslime und Linke gleichzeitig ein Problem nennen können.
Ironischerweise könnte in dieser ironiefeindlichen Zeit gerade etwas Wokeness helfen, das Chaos zu entwirren und die Extreme, die sich auftun, wieder etwas einzufangen:
Das genaue Sprechen, das genaue Benennen von Machtverhältnissen, von Zusammenhängen, das Entlarven von Argumenten, die gar keine sind.
Statt das alles neu auszuprobieren, gruseln wir uns lieber dabei, dass die FPÖ klar auf der Seite Israels steht und Teile der Linken es nicht tun. Auch da haben sich die Dinge aber nicht umgekehrt. Sie haben sich nur verschoben.
Erschienen im Winter 2023. Fleisch 69 – Ein Jahr vor Kickl – ist bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!