Ist ja nur Geld
Es gibt Menschen, die wissen schon seit immer ganz genau, wie viel sie pro Monat für Strom und Gas ausgeben, jede:r hat sie irgendwo in seinem erweiterten Umfeld. Sie wissen auch, wie viel sie durch Rabattmarkerl in diesem Jahr schon gespart haben und wann sie sich freinehmen müssen, damit sie auch ja keine Deals bei irgendwelchen Online-Shopping-Sales versäumen. Es sind Menschen, die Lebensmittel mit dem Minus-25-Prozent-Pickerl kaufen und aus dem Stand ihre Kontogebühren aufsagen können.
Menschen, die so mit Geld umgehen, haben entweder sehr viel davon, was ein Skandal ist und ein viel größeres Thema, als man in diesem Heft würdig anrollen könnte. Wir meinen aber die Pfennigfuchser, für deren Leben das nicht schlicht notwendig ist. Für sie gibt es nichts Schlimmeres als die Vorstellung, dass sie irgendwo Geld liegen lassen könnten. Solche Menschen haben einen Sparplan und stellen Preisvergleiche an, sie haben im Juli schon den Urlaub fürs nächste Jahr nach den Feiertagen ausgerichtet und gleich gebucht. Die Rechnung für alle zu übernehmen, halten sie für frivol, sich beim Zahlen abzuwechseln für russisches Roulette und „gute Freunde, strenge Rechnung“ kriegen sie sogar dann noch raus, wenn der Sangria sie lähmt.
Solche Menschen sind nicht am entspanntesten. Andererseits haben sie dafür mit 35 eine Eigentumswohnung und die Hälfte des Kredits schon zurückbezahlt. Seit ein paar Monaten werden diese Menschen mehr. Du erkennst sie daran, dass sie kurz zusammenzucken, weil sie wie immer zur Bio-Butter gegriffen haben und diese dann wieder zurücklegen. Die Eigenmarke ist jetzt um sechzig Cent billiger. Du erkennst sie daran, dass sie sich darüber unterhalten, ob die vier Euro für eine Zehnerpackung Klopapier nicht ganz schön heavy sind. Vor einem Jahr hat sie Klopapier genauso wenig gekümmert wie die Frage, ob sie jetzt einen Deckel auf den Topf legen, wenn sie das Chili aufwärmen, oder ob Kerzen nicht romantischer sind als die auf die Anlage abgestimmte Lichtinstallation.
Aber es gibt auch einen anderen Zugang zu Geld und der war in den vergangenen Jahrzehnten zumindest in einer kleinen, urbanen und kreativen Blase ziemlich erfolgreich: Geld war da einfach nicht so wahnsinnig wichtig.
Viele, die das eigentlich nie wirklich wollten, müssen plötzlich über Geld nachdenken und finden das wahnsinnig ungut. Es ist die unangenehme Seite des Erwachsenseins, spießig und langweilig, so also, wie man niemals sein wollte. Vor allem aber wird, sobald man über Geld nachdenkt, schnell alles so wahnsinnig groß.
Da überlegst du eigentlich nur, ob du die Schokomaroni mitnimmst, obwohl sie teuer sind, und schon stellst du dein ganzes Leben infrage: War es richtig, ausgerechnet in den Journalismus zu wechseln? Hättest du, statt ein Sabbatical zu machen, nicht doch eine Wohnung anzahlen sollen? Und musste der ganze Krempel, der jetzt im angemieteten Lager vergammelt, wirklich sein? Sofort liegen statt der Schokomaroni vier Packungen Nudeln im Wagen. 1+1 gratis, wieder drei Euro gespart.
Menschen mit Rabattmarkerln finden das ganz normal. Der Maserati-Fahrer, der vor ein paar Wochen beim Joseph Brot auf der Landstraße einen Stempel in der Sammelkarte zu seinem Cappuccino dazu holte, sieht das sicher ebenso.
Aber es gibt auch einen anderen Zugang zu Geld und der war in den vergangenen Jahrzehnten zumindest in einer kleinen, urbanen und kreativen Blase ziemlich erfolgreich: Geld war da einfach nicht so wahnsinnig wichtig. Es ist okay, wenn es da ist, aber auch nicht schlimm, wenn es gerade einmal fehlt. Geld ist jedenfalls nichts, worüber man sich definiert, weil man sonst wird wie Martin Ho oder Michael Tojner oder die Kardashians. Lieber arm, aber sexy. Lieber aufrecht schlau, als komplett verbogen dort, wo sich mit der Dummheit der Menschheit leicht Geld verdienen lässt. Geld ist in dieser Blase manchmal sogar richtig unangenehm geworden: Der sehr vermögende Bekannte schwört, dass er die interessanten und unabhängigen Frauen erst kennenlernte, als er seinen Porsche verkaufte. All das hat mal besser und mal schlechter funktioniert, war aber jedenfalls so, dass sich kaum jemand Gedanken darüber machen musste, was Gas und Strom kosten oder wo der Preis für Butter und Klopapier gerade steht.
Es ist 2022 und jede:r, der nicht komplett hinterm Mond lebt, weiß, was für ein Privileg so ein Leben ist. Seit ein paar Monaten fühlt sich dieses Privileg noch einmal anders an. Die Scham wächst. Zum Gefühl, dass man ziemlich unverdient mehr Glück und Geld hat als andere, kommt ein neues dazu: Das Gefühl, dass man sich eben doch übers Ohr hauen hat lassen. War es naiv, nicht mehr Gehalt heraus zu verhandeln, weil es eh reichte? Ist man vielleicht doch auf die Scharade der Kultur-Menschen hereingefallen, bei denen sich alles scheinbar easy ausgeht, obwohl man eh jeden Sommer auf Insta sieht, dass dahinter Eltern mit riesigen Pools auf riesigen Grundstücken stehen? War es vielleicht doch blasiert, nicht wirklich etwas zur Seite zu legen? War das, was sich moralisch so richtig anfühlte, vielleicht gleichzeitig ziemlich verantwortungslos?
Die Freundin, die mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Wohnung ausgibt, muss jetzt ihre Eltern jedenfalls wieder um Unterstützung bitten. Der Freund, der seine Dates sonst gern mit seiner Kenntnis über Restaurants beeindruckt, will jetzt wissen, ob es übergriffig ist, sie gleich zu sich nach Hause einzuladen und selbst zu kochen. Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen auch bei einem hohen Lebensstandard ihr Leben ziemlich knapp durchkalkuliert haben. Gröbere Veränderungen sind da nicht vorgesehen. Dass Katastrophen auch einmal sie erwischen könnten, sogar undenkbar.
„Wir werden alle ärmer“, sagte Robert Habeck. Wann genau das passiert, sagte er aber nicht, und noch sind die Züge weiter voll, schieben sich weiter Massen durch die Städte, bilden sich weiter Schlangen vorm Apple Store und vor Louis Vuitton.
Und jetzt plötzlich ist alles anders. Eine diffuse Abstiegsangst macht sich breit. Minimalismus fühlt sich deutlich anders an, wenn er sich für dich entschieden hat und nicht du dich für ihn. „Sparen ist zum Luxusgut geworden“, schickt die Schuldnerberatung in einer Presseaussendung durch. Sofort kommst du dir mit deinem Versuch, mit dem Doppelpack 1,50 Euro zu sparen, komplett bescheuert vor.
Du gehst also durch die Stadt und sie wirkt plötzlich surreal. Die Schanigärten sind voll, aber die Gespräche drehen sich um Angst und Geld, um Thomas Schmid und Sebastian Kurz, um Anstand und Untergang. Jede:r kennt jetzt seinen Gas- und Stromtarif, fährt aber trotzdem noch ein paar Tage weg, weil das ja jetzt so lange nicht gegangen ist. Alle schämen sich für das viele Zeug, das sie haben, kaufen aber den Sparduschkopf um 50 Euro und den Heizstrahler noch dazu, weil das eine gut gegen Putin ist, auch wenn es sich erst in ein paar Jahren rechnet, und das andere gut gegen die Kälte, wenn das Gas doch ganz ausbleibt.
Es ist wahnsinnig schwer, aus all dem schlau zu werden. „Wir werden alle ärmer“, sagte Robert Habeck. Wann genau das passiert, sagte er aber nicht, und noch sind die Züge weiter voll, schieben sich weiter Massen durch die Städte, bilden sich weiter Schlangen vorm Apple Store und vor Louis Vuitton. Noch sehen auch die Menschen, die vor der Münze Österreich anstehen, so aus, als wären sie eben schlau genug, um ihren Klimabonus in Gold umzutauschen, und jene vor MaxMoney im 20. Bezirk, als würden sie eben smarter einkaufen als andere und zu secondhand greifen. Noch lebt also an vielen Stellen die Hoffnung, dass es sich doch noch einmal ausgeht, dass die Inflation schnell wieder sinkt und es wieder halbwegs gemütlich wird.
Die meisten Prognosen gehen momentan nicht davon aus. Energie und vieles andere wird teurer bleiben. Wir müssen also doch über Geld nachdenken. Irgendwann. Geht fast nicht anders. Und verdammt – ist das unangenehm.
Erschienen in Fleisch 65, im Herbst 2022. Das gesamte Heft widmete sich dem Thema Geld – weil wir jetzt leider darüber reden müssen. Bestellbar im Abo und als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!