Es sind gerade keine guten Zeiten für Leute, die an das Gute in den Menschen glauben, und wenn sie sich für österreichische Politik interessieren, dann schon gar nicht. Am 10. April zum Beispiel, einem Sonntag: Die ganze Woche hindurch hatten Österreichs Medien über die Frau des Bundeskanzlers und ihr eigenartiges Verhältnis zu ihren Personenschützern von der Cobra diskutiert, dann wurde Karl Nehammer selbst aktiv und reiste mit großem Journalistentross in die Ukraine, um Wolodymyr Selenskyj zu besuchen. Kann man machen, keine Frage, aber am Sonntag tauchten dann die ersten Hinweise auf, dass Nehammer auch nach Moskau reisen werde. Als erster EU-Regierungschef seit Kriegsbeginn. Für einen Termin mit Wladimir Putin, bei dem keiner so recht weiß, was Nehammer dort eigentlich genau besprechen möchte. Der größte Erfolg war offenbar, dass es kein gemeinsames Foto von Nehammer und Putin gab – zumindest, wenn man die mediale Berichterstattung in Österreich als Maßstab nimmt.
Man könnte manchmal also wirklich verzweifeln.
Es ist nämlich nicht so, dass gerade so wenig los wäre auf der Welt. Es gibt einen Krieg, den keiner will und braucht, außer vielleicht Wladimir Putin. Es gibt eine Pandemie, auch wenn wir so tun, als stimme das nicht, weil wir gern endlich einfach nur bis zur Besinnungslosigkeit feiern würden. Es gibt eine Inflation, wie wir sie schon lange nicht mehr erlebt haben, steigende Energiepreise, die die Krise nochmals weiter befeuern werden, es gibt vielleicht im Herbst die nächste Corona-Welle, von der keiner weiß, wie sie sich entwickeln wird, und vielleicht gibt es dann aber gleichzeitig kein Gas, was wieder an Wladimir Putin liegt und wo auch wieder niemand so ganz genau weiß, was das dann wirklich bedeuten wird.
Und dann sind da noch die anderen Themen, die schon so lange ungelöst herumliegen, dass wir uns offensichtlich daran gewöhnt haben, sie zu verdrängen: die Klimakrise zum Beispiel. Oder die Migrationspolitik. Und dass wir als Gesellschaft mittlerweile so unterschiedlich sind, dass wir uns gegenseitig in den sozialen Medien niedersäbeln, nur weil jemand nach der Uhrzeit gefragt hat und das nicht besonders lieb, ganz ehrlich: So richtig normal ist das auch nicht.
So als Mensch, der sein Leben ernst nimmt, gäbe es also genug zu tun, und wenn man das Pech hat, Politiker mit Gestaltungsauftrag zu sein, dann noch viel mehr. In Österreich diskutieren wir aber darüber, wie viel Schnaps so ein durchschnittlicher Cobra-Beamter verträgt und ob er mit 1,2 Promille wirklich nicht mehr Auto fahren darf. Es ist alles sehr klein geworden in diesem Land, wirklich, wir wollen uns darüber aber nicht mehr auslassen, das haben wir im vergangenen Heft schon gemacht (Grüße gehen übrigens raus an Alexander Schallenberg, der endlich nicht mehr Kanzler spielen muss und deswegen wieder mehr Zeit für den Spaß im Leben hat, Anm.). Die Frage ist eher: Wie gehen wir mit der traurigen Wahrheit um? Der traurigen Wahrheit, die zum Beispiel Margarete Schramböck, Martin Polaschek, Wolfgang Sobotka oder auch Pamela Rendi-Wagner heißt?
Rückzug wäre eine Möglichkeit, und sie ist gar nicht die schlechteste. Wir könnten uns von dieser polit-medialen Blase abwenden, nur noch die hinteren Teile der Zeitungen lesen, also Sport und Society, und bei den Nachrichten erst einschalten, wenn Armin Wolf „Und jetzt zum Wetter“ sagt. Die restliche Zeit könnten wir dann auf Insta abhängen, oder, wenn wir jünger sind, auch auf TikTok, das, was wirklich wichtig ist, würden wir auch so mitbekommen (dass Verena Altenberger jetzt blonde kurze Locken hat, zum Beispiel). So schlecht wäre das gar nicht, die neuesten Updates zu Beverly Hietzing würden uns ziemlich sicher trotzdem erreichen.
Es wäre nicht zum ersten Mal. Dass wir in einer Zeit des neuen Biedermeier ankommen, die Öffentlichkeit sein lassen und mehr über Teak-Kommoden nachdenken oder die richtigen Rezepte für den Cima di Rapa, der es nun endlich, endlich auch auf die Wiener Märkte geschafft hat, darüber, dass er fehlt, beschweren wir uns schon seit mehr als drei Jahrzehnten, Neo-Biedermaier war also schon immer. Es ist vielleicht einfach nur eine Altersfrage – irgendwann geht dir alles rund um dich so am Nerv, dass du wirklich nur noch über Stängelkohl nachdenken willst (am besten kurz mit Zwiebel und Knoblauch anschwitzen, ein paar getrocknete Tomaten und Orecchiette dazu, fertig).
Und wir haben auch alles Recht dazu, mal kurz abzudrehen. Die Pandemie hat uns an den Rand getrieben, eigentlich hätte es jetzt ja alles wieder normaler werden sollen, die Politik hat auch so sehr darauf gehofft. Dass da jetzt ein Krieg ums Eck biegt und die Energiekosten explodieren und auf einmal wieder sehr viele Flüchtlinge hierherkommen, um die wir uns kümmern sollten, damit hat wirklich keiner gerechnet.
Was also tun?
Sonne!
Die soll wirklich helfen.