Das Ministerium
der Wahrheit
Es müssen seltsame Minuten gewesen sein in den Morgenstunden des 6. Oktober. Gleich an drei Orten in der Wiener Innenstadt waren die Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) angerückt, sie hatten Anordnungen zu Hausdurchsuchungen dabei und ziemlich klare Ziele. In der ÖVP-Parteizentrale durchsuchten sie das Büro des Parteistrategen Stefan Steiner, im Kanzleramt die Arbeitsplätze von Sebastian Kurz’ wichtigsten Mediensprechern Gerald Fleischmann und Johannes Frischmann sowie im Finanzministerium das Büro des für die Anzeigenkooperationen zuständigen Ministeriumssprechers. Der Spuk dauerte nicht lange und keine zwei Stunden später wurden die Hausdurchsuchungen öffentlich, die ÖVP selbst hatte sie über diverse Medien durchsickern lassen.
So schräg die Aktion gewesen sein muss, sie erklärte zumindest die absurdesten Ereignisse der vergangenen zwei Wochen, als Gabriela Schwarz und Allzweck-Wunderwaffe Andreas Hanger ziemlich eigenartige Anti-Justiz-Pressekonferenzen gaben. Die beiden sollten den Boden für die PR-Offensive rund um die offenbar bevorstehenden Hausdurchsuchungen aufbereiten. Die lautet kurz gefasst: Wir sind im Krieg. Alle sind gegen uns. Die Opposition, die WKStA, die Medien, einfach alle. Vor Gericht nennt man das Litigation-PR, in unserem polit-medialen Komplex sagt man dazu „gute Medienarbeit“. Und Tatsache ist: Die ÖVP kann das gut. Sie kann das sogar dann ganz gut, wenn Gerald Fleischmann, dem Hauptakteur der ÖVP-Medienpolitik, dem Vollstrecker und vielleicht sogar Erfinder der sogenannten „Message Control“, das Handy abgenommen wurde.
Schon klar: Das, was Fleischmann & Co nun vorgeworfen wird, ist deutlich mehr, als dass sie ein paar Nachrichten kontrollieren. Es geht um den Vorwurf der Bestechung, der Inseratenkorruption und darum, dass man im Finanzministerium von einem Umfrageinstitut Scheinrechnungen angefordert hat, um so Leistungen, die eigentlich der Partei zugutegekommen sind, mit Steuergeldern zu bezahlen.
Die Unterlagen der WKStA zeigen einmal mehr, wie bewusst Sebastian Kurz und sein Team eine ganz besondere Stärke aufgebaut haben: ihren Umgang mit Medien. In der Politik geht es schließlich schon längst nicht mehr darum, was wahr ist oder falsch – sondern darum, wer die beste Geschichte erzählt. Die Geschichte, die am schönsten klingt, gewinnt, und die ÖVP hat es darin zu einer wahren Meistermannschaft gebracht.
Erst ruft einer der beiden subalternen Kanzlersprecher den jeweiligen Redakteur an und versucht ihm eine Meldung unterzujubeln, und wenn sich dieser in den Augen der ÖVP bockig zeigt – man kann auch sagen: den News-Wert nicht erkennen will –, dann übernimmt Sebastian Kurz.
Rund um Sebastian Kurz entstand so etwas wie ein Ministerium der Wahrheit. Seine Aufgaben: Geschichten aufzubereiten, mit allem Drum und Dran, mit Titel, Vorspann und den passenden Fotos und das alles so gut, dass es ohne große Änderungen in den Zeitungen gedruckt werden kann, und zwar genau dann und dort, wo es strategisch passt. Das Bundeskanzleramt arbeitet nicht mehr mit Presseaussendungen, das ist ihnen zu wenig effizient. Sie arbeiten nach dem Motto: Frag nicht, was die Medien für dich tun können, frag, was du für sie tun kannst. Das ist ein kleiner, aber nicht ganz unbedeutender Unterschied.
Aber wie machen sie das? Unter den länger dienenden österreichischen Innenpolitik-Journalist:innen rumort es deshalb schon seit einiger Zeit. Nicht alle sind so offensiv und manchmal eruptiv wie Hubert Patterer, Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“, der erst Ende September wieder einen SMS-Verkehr zwischen ihm und Gerald Fleischmann öffentlich gemacht hat. „Vielen Dank für die freundliche Mithilfe. Hashtag Irrgarten der Pandemie. Hashtag Zynismus“, hatte ihm Fleischmann an jenem Morgen geschrieben, an dem die „Kleine Zeitung“ die teilweise widersprüchlichen neuen Corona-Regeln der Bundesregierung auf der Titelseite mit einem Labyrinth und der Zeile „Irrgarten der Pandemie“ illustrierte. Patterer ist da insofern verhaltensauffällig, weil er auch davor schon Grenzüberschreitungen von Sebastian Kurz und seinen Mitarbeitern öffentlich gemacht hat, zum Beispiel in seinem morgendlichen Newsletter im Mai 2020, in dem er beschrieb, wie es ist, wenn Kurz Journalist:innen persönlich anruft, weil er mit ihnen über Leitartikel reden will, die ihm so nicht gefallen haben.
Patterer ist nicht der einzige Betroffene: Mit wem auch immer man aus der österreichischen Innenpolitik-Szene spricht, Geschichten über unliebsamen Kanzler-Kontakt kann so ziemlich jede:r erzählen. Zum Beispiel darüber, wie das Kanzleramt Geschichten, die es gerne im jeweiligen Medium hätte, vorschlägt: Erst ruft einer der beiden subalternen Kanzlersprecher den jeweiligen Redakteur an und versucht ihm eine Meldung unterzujubeln, und wenn sich dieser in den Augen der ÖVP bockig zeigt – man kann auch sagen: den News-Wert nicht erkennen will –, dann übernimmt Sebastian Kurz persönlich das Telefon und erzählt die gleiche Geschichte noch einmal, mit dem Zusatz, dass man „die Geschichte ja auch einem anderen Medium geben kann, weil es ist schon spät, wir wollen jetzt mal heimgehen“.
Anrufe gibt es übrigens auch dann, wenn etwas schon erschienen ist, aber nicht ganz so, wie sich das Kanzleramt das gewünscht hätte. Auch in solchen Fällen gibt es eine Hierarchie: Erst ruft einer der beiden Sprecher an und beschwert sich, aber wenn Sebastian Kurz sehr sauer ist, dann will er auch in diesem Fall nicht selten persönlich reden. Kurz, so heißt es, ist dann fast immer freundlich und will wissen, was man denn als Journalist nicht verstanden habe und was er als Kanzler besser machen könne, damit die Zusammenarbeit in Zukunft besser funktioniere.
Bei kritischen Geschichten gibt es dann aber noch eine dritte Eskalationsstufe: Wenn auch ein Kurz-Telefonat nichts bringt, ruft Gerald Fleischmann an und dann, so sagt einer, der manchmal diese Anrufe entgegennimmt, „geht es schon rustikaler zu“.
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Das ist jetzt weder verboten noch ein Drama und auch nicht ganz neu. Dass Pressesprecher bei Medien anrufen und ihrem Ärger Luft machen, gab es auch schon früher. Josef Kalina war als Sprecher von SPÖ-Kurzzeitkanzler Viktor Klima und Bundesgeschäftsführer von Alfred Gusenbauer nicht nur nett am Telefon, es gibt jede Menge Politik-Journalist:innen, die sich daran erinnern, Gleiches kann man von Josef Ostermayer, dem starken Mann hinter Werner Faymann behaupten, und dass es das unter Christian Kern nicht gab, lag vor allem daran, dass es unter Christian Kern überhaupt nichts gab.
Und doch ist es jetzt ein bisschen anders, sagen Journalist:innen: Es ist intensiver. So intensiv, dass sich Redakteur:innen manchmal fragen, wie es sein kann, dass jemand, der eigentlich Bundeskanzler ist und das Land durch die schwerste Gesundheitskrise seit ewig führen soll, so viel Zeit hat, ständig mit Journalist:innen zu reden. Oder, um mal ein anderes Beispiel zu nehmen, wie viel Zeit ein Generalsekretär wie Thomas Schmid im Finanzministerium hatte, um erst an der Ablöse seines Parteichefs und dann an seiner Selbsterhebung zum ÖBAG-Vorstand zu arbeiten. Oder, um noch ein anderes Beispiel zu nehmen, wie viel Zeit der damals nicht amtsführende Wiener Stadtrat Gernot Blümel hatte, um sich um mögliche Spenden oder mögliche Interventionen für ein Unternehmen zu kümmern, das in Italien in Schwierigkeiten gekommen war.
Wobei, andererseits: Wer, wenn nicht ein nicht amtsführender Stadtrat hat Zeit, sich in solchen Fragen zu engagieren?
Wie kann es eigentlich sein, dass jemand, der eigentlich Bundeskanzler ist und das Land durch die schwerste Gesundheitskrise seit ewig führen soll, so viel Zeit hat, um ständig mit Journalist:innen zu reden?
Das Ministerium der Wahrheit hat in den vergangenen Monaten sehr gut daran gearbeitet, all diese Fragen zu beantworten: Mit eidesstattlichen Erklärungen, mit dem Verweis, dass weder der Bundeskanzler noch Thomas Schmid, sondern der Aufsichtsrat den ÖBAG-Chef bestellt habe, und vor allem damit, dass alles an der WKStA liege und an der SPÖ, weil die ein schlechter Verlierer sei. Die Mannschaft um Gerald Fleischmann hat also nicht nur die Gabe, Geschichten aufzustellen, denen es an nichts fehlt. Sie hat auch ein gutes Gespür dafür, in welchem Medium welche Geschichte gut passt und über welchen Redakteur man sie spielen kann, weil der traditionell froh ist, wenn eine Geschichte zu ihm kommt und nicht er die Geschichte suchen muss.
Für die Journalist:innen, die manchmal sogar ihren eigenen Namen über die BKA-Texte setzen, könnte das peinlich sein. Andererseits: Wer liest in dem Überangebot an Texten im Netz schon alle Geschichten in allen österreichischen News-Portalen? Auch woher die Sprecher wissen, wer jetzt die arme Wurst für die Wochenendarbeit ist, ist keine ganz unberechtigte Frage. Aber auch dafür gilt: Eigentlich ist das nur professionell. Und dafür, dass sein Team besser arbeitet als die Vorgänger, kann Kurz nichts.
Die ÖVP hat dafür gesorgt, dass sie an der Schnittstelle zu den Medien die richtigen Ressourcen hat. Wer heute als Politik-Journalist:in arbeitet, trifft, je nach Einstellung, entweder auf einen sehr starken Partner oder einen deutlich überlegenen Gegner. Rein zahlenmäßig sind die Kommunikationsabteilungen in den Ministerien stärker besetzt als ein durchschnittliches Politik-Ressort eines österreichischen Mediums. Drei Sprecher für einen Minister sind Standard, dazu kommen noch Sprecher für das Ressort, Social-Media-Experten, Assistenten und die sehr wichtigen Menschen, die für die richtigen Bilder sorgen.
Vor allem im Bundeskanzleramt ist das Team gewaltig: Zu Gerald Fleischmanns Stabsstelle Medien gehören je nach Zählweise bis zu 50 Mitarbeiter:innen, die aber auch den ehemaligen Bundespressedienst umfassen. Wenn man die Abteilung als Medium betrachtet, dann wäre das nach dem ORF und der Kronen-Zeitung wohl die größte Redaktion Österreichs. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dieses Medium ja eigentlich nur aus einem Ressort besteht – aus Politik.
Gerald Fleischmann sitzt mit seiner Stabstelle Medien im Bundeskanzleramt nicht nur an den Schalthebeln der Macht, sondern auch an den Schaltplänen für Inserate.
Das Ministerium der Wahrheit hat, und das ist heute anders als bei früheren Regierungen, noch einen entscheidenden Joker: das Geld. Gerald Fleischmann sitzt mit seiner Stabsstelle Medien nicht nur an den Schalthebeln der Macht, sondern auch an den Schaltplänen (Die Corona-Krise, in der viele Medien kurz vor dem wirtschaftlichen Ruin standen und dann mit Geld aus den #Babyelefanten-Kampagnen aufgepäppelt wurden, war kein schlechter Zeitpunkt dafür, jener Stelle vorzustehen, die alle Anzeigenetats zentral verwaltet, Anm.). Es ist kein Zufall, wenn Fleischmann bei der Adgar-Gala, bei der der „Verband Österreichischer Zeitungen“ die besten Werbekampagnen auszeichnet, vor allen anderen im Saal anwesenden Politiker:innen begrüßt wird.
Wobei sich manche ja gelegentlich die Frage stellen: Was ist eigentlich das Ziel dahinter? Sebastian Kurz soll, trotz allem, weiter Kanzler bleiben, schon klar. Aber was ist es darüber hinaus? Der Totalumbau der Republik, den die einen befürchtet, die anderen herbeigesehnt haben, als Sebastian Kurz den „neuen Stil“ versprach, scheint es ja eher nicht zu sein. Das ginge mit den Grünen auch nicht, zumindest nicht in Richtung Orbán.
Die Steuerreform ist jetzt auch durchgeboxt, aber sonst ist dafür, dass ständig etwas los ist, gar nicht viel passiert: Weder produzieren wir in Israel Impfstoff, noch ist Sputnik eingeflogen, noch ist die kalte Progression abgeschafft oder was sonst noch alles versprochen wurde. Irgendwann sah es so aus, als wäre das einzige Ziel, das dem Spiel zugrunde lag, das Spiel zu gewinnen: Keine Ahnung, was wir damit anfangen, aber wir sind auf jeden Fall am stärksten.
Die Geschichte stimmte. Die ÖVP galt als superprofessionell, als Partei, die alles kontrollierte, selbst wenn es manche Journalist:innen gibt, die meinen, ganz so großartig ist dieses Profi-Team nun auch nicht. Sehr viel strategische Kommunikation hat es tatsächlich nicht mehr gegeben, eigentlich waren die meisten Menschen damit beschäftigt, Krisen zu bewältigen. Dem Vernehmen nach soll sich zuletzt auch Stefan Steiner, der eigentlich den Kanzler strategisch beraten sollte, um die Medienstrategie gekümmert haben. Und wenn dann irgendwann sämtliche Profis im Team nur noch an der Inszenierung der eigenen Wahrheit arbeiten, um halbwegs glaubhaft rüberzukommen, dann steht die Wahrheit irgendwann ziemlich allein da.
Vor allem, wenn ihr irgendjemand die Luft auslässt. Zum Beispiel ein Staatsanwalt.