Ein Bus ist eine super Sache. Du brauchst nix, kein Hotel, kein Airbnb, noch nicht einmal einen Platz, auf dem du dein Zelt aufstellen kannst. Du musst dich bei nichts und niemandem an- oder abmelden, du brauchst keine Termine, keine Registrierungen, keinen Ballast und keinen Behördenkram, du brauchst nur dich und deine Laune und einen Plan oder eben gerade keinen. Du steigst einfach ein und fährst und fährst, und wenn du nicht mehr fahren magst, dann bleibst du stehen und pennst. An Ort und Stelle.
Also gut, ein Parkplatz sollte es schon sein.
Ungefähr so stellten wir uns das vor und vielleicht haben die 15 Monate Pandemie da auch etwas dazu beigetragen, dass das auf einmal nicht nach Oma und Opa mit abgezähltem Toastbrot im Gepäck und für jeden Tag streng normiertem Urlaubsbudget klang, jedenfalls dachten wir irgendwann: So ein Bus, das wär’s jetzt. Erschöpft von zwei sehr ernsten Heften stöhnten wir: Lasst uns das doch tun! Wir fallen auch nicht weiter auf, weil grad wirklich viele das machen, weil es Zeitgeist ist und so ein Insta-Ding, und allein die Vorstellung davon hebt schon die Stimmung, vor allem jetzt, wo die Grenzen endlich wieder aufgehen und der Reisehorizont nicht mehr bis maximal Kärnten reicht.
Wer einen Bus hat, der muss keine Flugtickets checken und nicht stundenlang Masken tragen, er muss vor allem nicht sechs Wochen, bevor er überhaupt in den Zug steigt, schon einen Fahrschein kaufen und dann sechs Wochen lang hoffen, dass sich nicht noch fünf schnarchende Steirer zusätzlich in seinen Liegewagen legen. Wer einen Bus hat, der hat eigentlich nur Vorteile, und für eine Redaktion, die seit Jahren konsequent spontan und ungeplant Hefte macht, ist alles, das sie spontan und unverplant sein lässt, ein erheblicher Vorteil. Auch wenn das natürlich Geld kostet. Mieten ist was für Spießer, dachten wir. Warum kaufen wir nicht einfach einen Bus, was soll schon schiefgehen, und was kostet die Welt?
Es dauerte keine 24 Stunden und er gehörte uns. Wer rechnen kann wie die Griechen, ist dann, wenn es wichtig ist, schnell wie die Italiener im Konter (nur im Nach-hinten-Absichern sind wir nicht so toll, aber das ist eine andere Geschichte). Er passte einfach zu gut: Ein VW T4 California, zwar schon 28 Jahre alt, aber trotzdem nur 115.000 Kilometer drauf und nur einen Vorbesitzer. Das Auto hat nicht viel von der Welt gesehen außer den Attersee, die Obere Adria und eine Welser Garage, es hatte keine rostigen Stellen, dafür aber ein penibel geführtes Service-Heft. Es war übrigens einer dieser Westfalia Ausbauten, die seit den 90er-Jahren die österreichischen Autobahnen verstopften und das nicht ohne Grund: Sie sind nämlich klug durchdacht, vom ausklappbaren Hochbett bis zu den lichtundurchlässigen Vorhängen. Natürlich ist das deutlich uncooler als ein fantasievoll selbst ausgebauter Fiat Ducato, andererseits aber eben deutsche Gründlichkeit und Perfektion, die millionenfach vom Fließband gerollt ist, und wir dachten uns: Die Deutschen rollen nicht umsonst seit mehr als 80 Jahren Jahr für Jahr mit ihren Autos durch halb Europa, die wissen, was man braucht.
Wir kauften das Auto also, meldeten es an – und los ging’s.
Es ist zunächst einmal natürlich völliger Irrsinn. Unser Fleisch-Bus hat zwar nur 78 PS und die Reisegeschwindigkeit liegt irgendwo zwischen 90 und 100 km/h. Aber trotzdem ist es ein Bus, ein alter Bus, und auch wenn man langsam und spritsparend fährt – sechs bis sieben Liter pro hundert Kilometer frisst er. Ist das im Zeitalter des Klimawandels wirklich noch drin? Weil es sind viele hundert Kilometer, die man in den Ferien mit so einem Bus fährt, das ist eigentlich sogar der Sinn der Sache von so einem Bus: Du willst nicht mit möglichst kleinem ökologischen Fußabdruck von A nach B, sondern dein Ziel ist der Weg und der besteht in der Regel aus möglichst vielen Umwegen. Wer so einen Bus fährt, pfeift auf Effizienz, seine Freiheit ist das Fahren. Es ist eine teuer erkaufte Freiheit, so ehrlich muss man sein: Um das CO2 wieder einzusparen, das wir auf den Reisen für dieses Heft ausstoßen, müssen wir sehr viele Wochen vegetarisch leben, und zwar richtig und nicht nur lifestyle-vegetarisch mit absurden Ersatzprodukten, von denen eine neue Industrie gut lebt und das nicht im Marchfeld.
So ein Bus geht natürlich nicht mehr, eigentlich, und es wird auch nicht besser dadurch, dass im Moment gerade jene Menschen, die sich am Samstag auf den Biomärkten um die nachhaltigsten Karotten prügeln, mit solchen Bussen um die Welt gondeln. Nur weil viele aus ganz egoistischen Gründen einen Fehler machen, wird der Fehler des Einzelnen dadurch nicht kleiner, die Wahlerfolge von Sebastian Kurz haben das eindrucksvoll bewiesen.
Aber vielleicht ist das auch ein Teil des Reizes, man macht das Verbotene und rechtfertigt es damit, dass man als Kompensation ja sonst ganz oft den Elektromotor des Lasten-E-Bikes abstellt. Vielleicht spielt auch die Nostalgie ihre fatale Rolle dabei, die Sehnsucht nach einer Zeit, in der es echt noch etwas zu entdecken gab und ein Bus, eine Decke und ein Polster alles waren, was es brauchte, um an Orte zu kommen, die nicht schon zigtausendfach als Bildschirmhintergrund für Sehnsucht gesorgt haben. Vielleicht aber liegt hier auch tatsächlich das letzte Stückchen Individualverkehr, das wir wirklich nicht aufgeben möchten, selbst wenn wir für die großen Distanzen im Nachtzug die Ohrstöpsel und Schlafbrillen längst akzeptiert haben.
Der Bus ist zu einem Symbol für eine gewisse Freiheit geworden, er hat unseren Eltern gezeigt, dass es ein Leben jenseits der Gruppenurlaube in Vollpension gibt, jenseits von Ausseer und Ossiacher See, jenseits der hügeligen Südoststeiermark, der spitzzackigen Dolomiten und des massiven Dachsteins. Er hat uns nach Barcelona gebracht und nach Biarritz, in die einsamen Buchten Kalabriens und an der CÔte, er hielt den Wind an der Nordsee aus und den Sturm am südwestlichsten Zipfel Portugals. Ohne den Bus wären wir dort nicht hingekommen, nicht genau an diese eine Stelle, die nur uns gehörte, bis wir wegfuhren. Vielleicht weil der Regen kam, vielleicht weil andere Abenteuer warteten, vielleicht weil dann doch noch Nachbarn angefahren kamen, die zwar nett, aber auch extrem ehrgeizig an der Country-Gitarre waren.
Der Bus, das ist vielleicht sogar das Beste daran, lässt einem die Freiheit, weiterzuziehen, ohne dass man sich deshalb auf ein neues Bett einlassen muss, auf einen neuen Spalt in der Mitte oder Leintücher, die an unlogischen Stellen eingeklemmt sind. Das ist der größte kleine Luxus, den ein VW-Bus bietet, aber alles daran ist toll: Er zeigt dir, wie verdammt wenig du brauchst, wenn du einfach nur reisen willst. Kein Frühstücksbuffet, keine Düsenantriebhandtrockner, keine Minibar mit Preisen, die sich an Rap-Stars und Kunstdealer richten, keine Klimaanlage. Brauchst du alles nicht, und was du alles nicht brauchst, macht dich unabhängiger.
Genau das probieren wir jetzt.
Erschienen im Sommer 2021. Fleisch 60 – On the Road – ist bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!