Alles, nur keine Politik

Fleisch 53, Herbst 2019 
Text: Superfleisch                              

 

Politik muss gar nicht so daneben sein, wie sie sich manchmal anfühlt. Um das zu wissen, muss man sich gar nicht einmischen. Aber es hilft.

 

Politik, die hat in diesem Land einen schlechten Ruf, und wenn man ehrlich ist, dann tun die wenigsten, die davon leben, etwas, um diesen Ruf zu verbessern. Das ist natürlich fürchterlich ungerecht, denn was wären wir ohne Politik? Ohne Politik hätte es Christian Kern wohl kaum aus Simmering bis nach China geschafft, und Norbert Hofer würde nach wie vor Flugzeuge reparieren. Ohne Politik wäre Pamela Rendi-Wagner einfach nur irgendeine Medizinerin und Johann Gudenus leidlich erfolgreicher Russisch-Dolmetsch (zumindest müsste er dann nicht versuchen, „Heidi Horten“ zu übersetzen, Anm.). Herbert Kickl würde Pointen für den Radentheiner Fasching schreiben und, wer weiß, vielleicht für ein, zwei Nummern auch selbst in Frauenkleider hüpfen. Peter Pilz und Alexander Van der Bellen würden in irgendwelchen staubigen Uni-Archiven herumhängen, aber laut Grünen 20-mal so viel verdienen wie eine Kindergärtnerin, und dieser 33-jährige Meidlinger mit den guten Manieren würde ohne Politik immer noch im Café Wortner ­Würstel mit Saft servieren.

Gut also, dass es Politik gibt.

Politik kann Lebensläufe verändern, die der Politiker sowieso, aber auch die von sehr vielen anderen Menschen mehr. Denn natürlich haben auch wir alle etwas davon: Wir müssen im Wirtshaus nicht mehr rauchen, um dazuzugehören, wir haben dank der Politik ein Pensionssystem und wir können es dank der Politik alle paar Jahre ­reformieren. Wir können „Lebensmensch“ sagen und dabei total ironisch lachen, weil wir an Stefan Petzner denken, und wir dürfen auf Autobahnen mit Tempo 140 fahren (wobei, ohne Politik könnten wir vielleicht noch schneller fahren, so schnell die Autos können. Andererseits hätten wir ohne Politik keine Autobahnen, also schlechtes ­Beispiel, lassen wir das).

Politik ist super, sie ist nur leider als sehr langweilig verschrien. Pensionen? Die Novelle des ASVG? Die Feinheiten des Föderalismus? Klar, man kann sich dafür interessieren, aber man könnte auch für Addendum arbeiten und mit der Stoppuhr überwachen, wie lange jeder ­Abgeordnete bei den Plenartagen Pinkelpause macht. Journalisten, die im Innenpolitikressort eines Mediums anfangen, könnten eigentlich auch als Parksheriffs arbeiten, im Coolness-Ranking würde das keinen großen Unterschied machen, nur dass sie dann auch eine reale Macht hätten.

 

 

Journalisten, die im Innenpolitikressort eines Mediums anfangen, könnten eigentlich auch als Parksheriffs arbeiten, im Coolness-Ranking würde das keinen großen Unterschied machen, nur dass sie dann auch eine reale Macht hätten.

 

Aber wenn Politik so langweilig und öde ist, warum hat Politik im Fernsehen so gute Quoten, vor allem in Wahlkampfzeiten? Wenn wirklich schon „genug gestritten“ ist, wie es Werner Faymann damals plakatieren ließ, wenn das Land genug vom „Anpatzen“ hat und einen „neuen Stil“ will, wie Sebastian Kurz seit 2017 durchs Land ruft – warum schauen die Menschen dann im Fernsehen die sogenannten Duelle und Elefantenrunden, und zwar täglich? Sie schauen nicht Hohes Haus, wenn dort der Familienlastenausgleichsfonds von Grund auf erklärt wird, und sie schauen auch nicht die Wiederholung der Rede eines FPÖ-Hinterbänklers aus dem Waldviertel (außer der stolpert auf dem Weg zum Rednerpult, Anm.): Sie schauen also dann, wenn ordentlich gefetzt wird, je mehr, desto besser. Sogar der öffentlich-rechtliche ORF hat in diesem Jahr die Konfrontation der Spitzenkandidaten auf die für das ans Krawall-TV gewöhnte Publikum erträgliche Kürze zusammengestrichen. Statt 45 Minuten gibt es heuer nur noch 20 Minuten für die direkten Duelle der Kandidaten, also weg mit den Zwischentönen und tiefer greifenden Argumenten, runter mit den Handschuhen, 20 Minuten, immer eine Rechts-links-Kombination, dann ein Haken, dann bitte möglichst ein K. o. und dann, hopp, die Nächsten in den Ring, dazwischen bleibt gerade noch genug Zeit für ein Blitzinterview mit einem Experten am Spielfeldrand.

Politik, das ist Emotion, zumindest in der medialen Vermittlung, und das Interessanteste daran ist, dass es dabei immer nur um die Kindesweglegung geht. Wahlen gewinnen heute in erster Linie die, die behaupten, keine Politik zu machen, oder die sehr laut schreien, keine typischen Politiker zu sein.

Zu den typischen Anachronismen Österreichs gehört, dass dennoch natürlich immer die typischsten und bestausgebildeten Politiker Wahlen gewinnen, der letzte, der bei einer Wahl gewonnen hat, ohne jahrzehntelang in einer Jugendorganisation die Kunst des Intrigierens gelernt zu haben, ja, wer war das eigentlich? Irgendjemand in der Ersten Republik. Quereinsteiger wiederum werden vor allem dafür kritisiert, dass sie Quereinsteiger sind und nichts von Poli­tik-Politik verstehen. Es ist fast immer so, bei Christian Kern genauso wie bei ­Pamela Rendi-Wagner oder auf der anderen Seite Hans Jörg Schelling oder Sophie Karmasin.

Der Anachronismus steigert sich im aktuellen Wahlkampf nochmal. Die ÖVP inszeniert ihren Kandidaten Sebastian Kurz nämlich wie einen Popstar, der vieles ist, nur kein Politiker. Und gleichzeitig wird er bei den Wahlveranstaltungen als der einzige der Kandidaten verkauft, der „Kanzler kann“, wie es in der Sprache der ­Volkspartei heißt.

Also was jetzt: Wollen wir Politiker? Oder wollen wir in der Politik gerade keine Poli­tiker? Und was wollen wir eigentlich, dass Politik tun?

 

In einer idealen Welt weiß die Politik mehr als wir, zumindest als jeder Einzelne von uns, und sie hat auch mehr als nur den Einzelnen im Blick. 

 

 

Politik löst im besten Fall unsere Probleme. Politik bringt die Gesellschaft weiter, weil sie sich um Dinge kümmert, an die wir nicht denken, die wir nicht verstehen können oder auch gar nicht verstehen können wollen. Wenn man so will, dann lagern wir an die Politik also sogar das Denken aus, so wie auf anderer Ebene an die IT-Konzerne und deren Algorithmen, die uns erzählen, was wir hören, lesen und anschauen sollten und wen wir super finden sollen und wen nicht. Der Unterschied ist – und der würde die Politik ja so reizvoll machen –, dass sie im besten Fall kein ökonomisches Interesse an uns hat, also in der Theorie und in einer idealen Welt.

In einer idealen Welt weiß die Politik mehr als wir, zumindest als jeder Einzelne von uns, und sie hat auch mehr als nur den Einzelnen im Blick. Im idealen Fall hat sie alle Dinge bedacht und deswegen die Rahmenbedingungen geschaffen, in denen wir leben sollen. Sie gibt unsere Steuern sinnvoll aus, entscheidet klug, und manchmal legt sie für uns Dinge fest, die uns im ersten Moment stören, weil sie uns unserer ganz persönlichen Freiheit ein Stück weit berauben. Dass wir uns beim Autofahren anschnallen müssen zum Beispiel. Oder dass wir im Wirtshaus nicht mehr rauchen dürfen. Das setzt in der Praxis aber das Vertrauen voraus, dass die, die entscheiden, auch wirklich mehr wissen und auch wissen, was sie tun, wenn das Gewirr allzu groß wird. Es gibt Parteien, die meinen, dass man das meiste nach dem Hausverstand entscheiden kann. Andere sagen, dass sie vor jeder Entscheidung das Volk, also uns befragen wollen.

Aber glauben wir wirklich, dass der Hausverstand immer und überall die Wissenschaft schlägt? Der Hausverstand sagt uns, dass wir, wenn es heiß ist, nicht auch noch die Heizung aufdrehen müssen. Stimmt. Aber warum soll er wissen, wie wir gegen die Klimakrise vorgehen sollen? Dafür gibt es noch keine Bauernregel, die jeder ­anwenden kann.

Und geht es wirklich um uns, wenn wir ständig nach unserer Meinung gefragt werden, und wollen wir das wirklich? Wenn wir das Auto in die Werkstatt stellen, weil irgendetwas scheppert, dann verunsichert es uns, wenn der Mechaniker fragt: „Keine Ahnung, sollen wir den Motor tauschen oder doch eher die Bremsanlage?“ Von der Verkäuferin bei H&M hören wir vielleicht noch gern, dass uns „das T-Shirt perfekt passt“ (wobei, wahrscheinlich hören wir gar nicht zu). Aber was, wenn der Steuerberater dauernd uns nach unseren Ideen fragt? Oder der Architekt meint: „Nein, nehmen wir doch deinen Plan, du zeichnest viel schöner als ich und deine statischen Berechnungen werden schon stimmen“? Einmal schmeichelt das, vielleicht sogar auch noch beim zweiten Mal. Aber spätestens beim dritten Mal, wenn im Restaurant der Koch kommt und uns die Schürze umbindet, dann werden wir wohl leicht unrund, und wenn er dann „frischen Fugu, selbst filetiert“ anbietet, dann sagen wir: „Nein, danke.“

Also: hoffentlich.

Und vielleicht ist das das Problem mit Politik. Wir wollen, dass sie uns einbindet und nicht über unsere Köpfe hinweg entscheidet. Wenn sie das macht, nervt es uns aber auch relativ schnell. Wir wollen verstehen, was sie im Detail vorhat, aber wenn sie es uns erklärt, dann schalten wir auch schnell wieder ab, entweder weil es zu kompliziert wird oder zu gut, um wahr zu sein. In der Regel wollen wir ja weder unbequeme Dinge noch schlechte Nachrichten hören. Wenn uns dann aber jemand dauernd sagt, dass die Pensionen eigentlich sicher sind oder die Klimakrise schon vorbeigeht, wenn wir nur Papier- statt Plastiksackerl nehmen und keine argentinischen Steaks mehr essen, dann funktioniert das zwar eine Zeit lang, macht uns aber auf Dauer doppelt skeptisch, ob das wirklich so sein kann. Also: hoffentlich.

In einer idealen Welt weiß die Politik mehr als wir und weiß das auch, weshalb sie ihre Politik nicht nach unseren Ängsten ausrichtet, sondern vorhat, sie gar nicht erst aufkommen zu lassen, weil sie ein paar bessere Ideen hat, die uns näher an die ­ideale Welt heranführen. In einer idealen Welt beschränkt sich Politik nicht aufs Duell Hausverstand gegen Bauchgefühl, auf Vernunft gegen Emotion. In einer idealen Welt muss sie gar nicht so wahnsinnig polarisieren, damit wir sie mitbekommen, und wir müssen das umgekehrt auch nicht, damit sie uns mitbekommt. Wir müssen also, frei nach der deutschen Autorin und Bloggerin Katja Berlin, nicht AfD wählen und nach Sachsen ziehen.

Weiß eigentlich irgendwer, warum auch die ideale Welt so einen schlechten Ruf hat?

 

Erschienen im Herbst 2019. Fleisch 53, bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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