Ich sag dann mal Servus

Fleisch 58, Winter 2020 
Text: Markus Huber
Foto: Ingo Petramer                            

Die wenigsten Politiker können sich in Würde aus der Öffentlichkeit verabschieden. Dabei gewinnen selbst die Unsympathischsten mit einem stillen Abgang noch an Größe.

Es ist hoch an der Zeit, ein paar lobende Worte für Werner Faymann zu finden, denn egal, was man sonst von dem Mann hält, eines kann er wirklich: schweigen. Wirklich schweigen: Nicht nichts sagen, während er etwas sagt, oder auffallend ausschweifend schwafeln, nicht „Ich gebe keine Interviews mehr“-Interviews geben oder so lange bei Veranstaltungen herumlungern, bis endlich eine Kamera auf ihn gerichtet ist, um dann schwermütig zu seufzen oder mit den Augen zu rollen. Nein, bei Werner Faymann bedeutet schweigen tatsächlich, „einfach mal die Klappe halten“. Und das macht er konsequent seit jenem Montag, dem 12. Mai 2016, an dem er mit Personenschutz und Dienstauto als Bundeskanzler zum Ballhausplatz gefahren ist und ein paar Stunden später mit Ehefrau und Golf als Privatmann nach Hause rollte. 

Seit damals hat er kein einziges Interview gegeben, und das, obwohl sich wahrscheinlich jemand gefunden hätte, der ihm nur Fragen gestellt hätte, die er auch sicher hätte hören wollen, so wie damals als Kanzler. Aber offenbar wollte Faymann nach seinem Rücktritt weder Sideline-Reporter sein wie die vielen Ex-Teamchefs (Herbert Prohaska) noch ein Balkon-Muppet, der die Aufführungen der Nachfolger kritisiert (Franz Vranitzky, Erhard Busek). Es gibt wirklich nur wenige Ex-Kanzler, die das so gut schaffen wie Faymann, die einen sind tot (Sinowatz, Kreisky und alle Vorgänger), oder haben einen ganzen Kontinent zwischen sich und die österreichische Politik gebracht (Viktor Klima). Faymann aber, und das ist das wirklich Interessante, hockt nach wie vor in Wien-Liesing, mitten unter uns, und hat sich auch nicht zurückgezogen, um Rosen zu züchten oder seine Verbindungen zu schrulligen, aber reichen zentralasiatischen Potentaten zu pflegen. Er spielt weiter mit in der Innenpolitik und beweist Tag für Tag, dass man ohne seinen Segen in der SPÖ nur schwer politisch überleben kann. Nur Interviews gibt er keine. Was er von der aktuellen politischen Lage hält, das erfahren maximal Doris Bures und Christian Deutsch. Mehr müssen es nicht wissen.

Man kann nur erahnen, wie schwer das jemandem fallen muss, der es über viele Jahre gewohnt war, täglich sein Gesicht aus der Zeitung lachen zu sehen. Die Verlockungen sind groß und die Möglichkeiten schier endlos. Man kann Gastkommentare schreiben oder Vorträge halten, man kann Conny Bischofberger zu sich kommen lassen oder Claudia Stöckl, man kann zu Wolfgang Fellner pilgern, zu Barbara Stöckl oder zu Corinna Milborn, und wenn man sich den Anstrich des Intellektuellen verpassen will, dann wird sich wohl auch noch ein Slot bei André Hellers „Menschenkinder“ finden.

 

Ich bin dann mal weg, wobei, nein, ich bin doch kurz wieder da. Seit Jahrzehnten erleben wir das, und klar, zuallererst liegt das an den Medien selbst.

 

Es bleiben die sozialen Medien: Twitter zum Beispiel ist eine Geißel, spätestens dann, wenn man den Account am eigenen Handy hat und kein Social-Media-Manager mehr zwischengeschaltet ist. Und dann ist da die Versuchung, die Lebens- und Leidensgeschichte in Buchform zu pressen. Das ist toll, weil man über den Amazon-Verkaufsrang final die Sympathiewerte abtesten kann. Aber trotzdem: Haltung, Freunde! Und ist es nicht ungleich eleganter, wenn man damit zuwartet, bis die Tinte des Rücktrittsbriefs zumindest trocken ist? 

Jedenfalls können da nur die allerwenigsten widerstehen. Selbst Wolfgang Schüssel, der sich zeit seiner aktiven Regentschaft als „Schweigekanzler“ inszeniert hat und um alle Journalisten einen großen Bogen machte (außer um die, die ihm ihren Job zu verdanken hatten, Anm.), verwandelte sich nach dem Rücktritt in eine kleine Plaudertasche. 

Aber warum? Ist es das Mitteilungsbedürfnis? Der kalte Entzug? Der Glaube an die eigene Genialität? Oder ist es vielleicht einfach nur die Kränkung, die eine Wahlniederlage oder eine Entmachtung durch die eigene Partei zwangsläufig auslösen muss und dafür sorgt, dass man sich der Öffentlichkeit einfach nicht entziehen kann?

Ich bin dann mal weg, wobei, nein, ich bin doch kurz wieder da. Seit Jahrzehnten erleben wir das, und klar, zuallererst liegt das an den Medien selbst. Ein ehemaliger Politiker, der seinen Nachfolgern was ausrichtet, ist die spannendere Geschichte als eine Pressekonferenz von Werner Kogler. Außer es handelt sich um den Fernsehpfarrer Andreas Khol. Und selbst wenn er nichts zu sagen hat, sorgt ein ehemaliger Politiker für Quote und ist obendrein billiger als ein durchschnittlicher Influencer für die jüngere Zielgruppe. Warum sonst würden Menschen wie Peter Westenthaler oder Josef Cap oder sogar Gerald Grosz (der Weirdo von Facebook, Anm.) im Studio von Fellner-­TV mittlerweile beinahe campieren? Um die 300 Euro, die Fellner seinen Studiogästen dem Vernehmen nach zahlt, filmt sich ein durchschnittlich bekannter TikToker nicht mal mehr beim Schuhbänderbinden. 

 

Normalerweise gilt: Du kriegst einen Menschen aus dem Kanzleramt, ein Kanzleramt aber nicht aus dem Menschen.
Bei Werner Faymann ist das anders.

 

Es kann kein Zufall sein, dass Menschen, die nach ihrer Zeit in der Politik eine halbwegs erfolgreiche Zweitkarriere hinlegten, weniger öffentliches Sendungsbewusstsein haben als andere. Josef Pröll, der heute im Raiffeisen-Konzern wohl ein Vielfaches von seinem Nach-Nach-Nachfolger als ÖVP-Parteichef verdient, ist de facto von der Bildfläche verschwunden. Michael Spindelegger hält sich als Präsident einer Internationalen Migrationsforschungsinstitution aus der Öffentlichkeit heraus. Bei Alfred Gusenbauer kann man von „Zurückhaltung“ im engeren Sinn zwar nicht sprechen, aber andererseits ist ihm, seit er nicht mehr vom Goodwill der öffentlichen Meinung abhängig ist, noch viel mehr egal als davor, und nicht wenige sagen, dass ihm davor auch schon alles egal war. Das sorgt für eine besondere Form der Lässigkeit, die ihm so schnell niemand nachmachen kann. Wobei man zugeben muss: Ein Role-Model in Sachen stilvoller Abgang ist Gusenbauer nur für die, die im Fasching als Wladimir Putin gehen. Oder als Donald Trump. Apropos stilvoller Abgang. Der Lebenszyklus einer politischen Karriere verläuft immer ähnlich, egal, bei welcher Partei. Man baut sich lange und langsam auf, wird zum Hoffnungsträger, bis man den Laden übernimmt. Bei den allermeisten geht es ab dann in der öffentlichen Wahrnehmung nur noch bergab. So beliebt wie zum Amtsantritt sind die meisten Politiker nur noch einmal: in den Stunden nach ihrem Abschied aus der Politik. Woran das liegt, ist schwer zu sagen, vielleicht sind wir einfach Gewohnheitstiere, wir wollten ja auch nicht, dass Mutter Beimer jemals in der Lindenstraße aufhört. Oder vielleicht sind wir hemmungslose Romantiker und haben einen Hang zu Verlierern. Rapid Wien hat ja nicht umsonst die meisten Fans im österreichischen Klubfußball, auf zwei liegt die Austria, Red Bull Salzburg hingegen mag niemand außer Didi Mateschitz. Vielleicht sorgt die Welle der Sympathie, die im Moment des Rücktritts über jeden Politiker hereinbricht, sogar über Personen wie Peter Westenthaler und Heinz-Christian Strache, zu einer völligen Verkennung der Lage. Gut, nicht alle gründen eine neue Partei, aber offenbar glauben viele, dass ausgerechnet jetzt die Welt reif ist für noch mehr von ihnen. Was die meisten verdrängen: In spätestens einer Woche wird in der Regel ihr Nachfolger präsentiert, der ebenfalls mit phänomenalen Umfragewerten startet. Wo ist dann noch Platz für sie? Und wie viele Politiker haben drei Jahre nach ihrem Rücktritt noch großartige Imagewerte? Eben.

 

Tatsächlich gewinnen in der Rückschau vor allem jene, die einen halbwegs stilvollen Abgang hingelegt haben. Wie der gelingt? Vor allem: Wenn man loslassen kann. 

 

Tatsächlich gewinnen in der Rückschau vor allem jene, die einen halbwegs stilvollen Abgang hingelegt haben. Wie der gelingt? Wenn man sich nicht mehr einmischt. Wenn man keinen Sauhaufen hinterlässt. Wenn man seine Rolle richtig einschätzen kann. Wenn man nicht permanent aus Ehrfurcht vor der eigenen Bedeutung erstarrt und aus seiner Rolle nicht mehr raus kann. Und vor allem: Wenn man loslassen kann. Es gibt Menschen, denen merkt man schon während ihrer Amtszeit an, dass sie das mal können werden. Alexander van der Bellen zum Beispiel. Und auch bei Angela Merkel gibt es wohl keine Zweifel, dass sie nach der nächsten Bundestagswahl wohl, wenn, dann nur mit ihrer Buch- beziehungsweise Gemüsehändlerin reden wird. 

Es gibt Menschen, die erzählen, dass Werner Faymann auch so jemand ist (er selbst erzählt das, siehe oben, nicht). Weil Werner Faymann laut denen, mit denen er noch redet, auch schon zu aktiven Zeiten gewusst hat, dass er den Posten nur für eine gewisse Zeit hat. Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. 

Wird interessant, wie das bei Sebastian Kurz so wird.

Erschienen im Winter 2020. Fleisch 58 – Verschwinden – ist bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! 

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