Im Juni 2024 wurde es auf einmal ziemlich angenehm. Wir saßen draußen, schauten der österreichischen Fußballnationalmannschaft dabei zu, wie sie die erwachsenen Teams an die Wand spielte, und wussten bald, welches Lokal am Karmelitermarkt das schnellste Internet hat. Die FPÖ gewann zwar die Europawahl, aber das bedeutete vor allem, dass es endlich keine Diskussionsrunden mehr mit Harald Vilimsky zu sehen gab, heißt: Das Positive überwog eindeutig. Dann kam Brat und wer, wenn nicht wir, kann berechnender Aufmüpfigkeit etwas abgewinnen? Noch besser wurde es, als Joe Biden zurücktrat und mit dem selbstbewussten Lachen von Kamala Harris plötzlich wieder so etwas wie Hoffnung entstand, dass Donald Trump nicht noch einmal die Show seines Lebens abziehen kann. Olympia in Paris begann mit einem Knall und wurde von Tag zu Tag nur besser. Endlich mal wieder Bombast! Endlich hat mal wieder jemand etwas zustande gebracht! Endlich konnte jemand wieder Bilder! Emotionen! Snoop Dogg!
Ja, es sah im Sommer so aus, als könnte doch irgendwie alles gut werden. Die Menschheit war noch nicht ganz verloren, das österreichische Budget interessierte noch niemanden und auch der Wahlkampf war noch weit weg. Wir dachten damals, dass die alte Lebensweisheit, es würde nichts so heiß gegessen wie gekocht (außer Käsekrainer), vielleicht ja doch zutreffen könnte. Aber dann stellten wir fest, dass wir eben doch in Österreich sind, hier mögen die Leute Käsekrainer. So sehr, dass sie sie am Ende sogar wählen.
Als wir vor - hust, hust - 20 Jahren das erste Mal dieses kuriose Magazin namens Fleisch herausgaben, hatten wir ein Foto von Jork Weismann auf dem Cover. Es zeigte eine junge Frau, in Schwarz-Weiß, ganz nah am Gesicht fotografiert und nicht ganz einfach zu interpretieren. Die Serie, aus der es stammte, hieß Teenage Angst. Ihre Protagonist:innen sind heute erwachsen.,
Die Teenage Angst ist als gesellschaftliches Thema geblieben, nur dass man sie heute Mental Health Issues nennt, was vielleicht ein Hinweis darauf ist, dass es mehr Zeitgeist als ein Krankheitsbild ist oder dieses Krankheitsbild quasi immer auch Zeitgeist ist.
Erwachsen werden ist ja auch eine heillos verwirrende Angelegenheit. Man kennt sich schon gut genug aus, um festzustellen, dass man eigentlich überhaupt keinen Tau hat, aber man will es nicht immer wahrhaben. Da glaubt man wirklich, dass die erste Liebe ewig halten wird, aber dann kreuzt am Samstagabend der/die Nächste auf, mit dem/der man sich das auch vorstellen könnte. Es ist einem vollkommen klar, dass es noch nie eine bessere Zeit für Popmusik, Zocken und Drogen gegeben hat, aber gleichzeitig ist es auch ganz sicher noch nie in der Menschheitsgeschichte schwerer gewesen, irgendwo Fuß zu fassen.
Das ganze Leben ist geschmacksverstärkt, hyperintensiv, sogar die Pastellfarben. Jeder Streit ist ein Krieg, jeder Krieg ein Totalzusammenbruch, jeder Lehrer ein Arsch und jeder Politiker sowieso. Jedes schiefe Wort ist so peinlich, als hätte jemand ein Sextape ins Internet gestellt, aber andererseits ist ein selbst online gestelltes Sextape ein Akt der Selbstermächtigung. Es ist heillos verwirrend. Und manchmal ist da nur Angst. Panik. Horror.
Wenn man Glück hat, ist man in der Elternlotterie bei Leuten gelandet, die selbst halbwegs stabil sind und sich nicht davon abbringen lassen, ihren Kindern ein bisschen was zuzutrauen. Wenn man Pech hat, erwischt einen das Loch, das sich in solchen Momenten auftut, immer wieder, bis man lernt, einen Bogen darum zu machen oder endlich drüber zu springen. Erwachsen werden ist verdammt verwirrend, weil man ja erst einmal checken muss, dass man sich auch selbst austricksen kann. Der wichtigste Trick von allen ist aber der: Verstehen, dass man nicht alles selbst machen und schon gar nicht alles können muss.
Das ist vielleicht das größte Missverständnis der letzten Jahre. Es ist der Grund, warum die einen sich biohacken, um ewig zu leben (oder die Nacht durcharbeiten zu können), und die anderen sich selbst optimieren, bis sie Andrew Tate, Shirin David oder Carla Bruni zum Verwechseln ähnlich sind. Es ist der Grund, warum jede:r, der/die weiß, was ein Reel ist, Influencer:in werden will, mit maximal kleinem Team und maximal großer Reichweite. Der volle Fokus auf Einzelne führt auch dazu, dass Leute in Podcasts Interviews führen, neben denen Rainer Pariasek wie ein Staranwalt beim Kreuzverhör wirkt, was aber gut funktioniert, wenn rundherum eh alles stressig und anstrengend ist
Wo alles auf Einzelne zugeschnitten ist, wird nichts breit, inklusiv, ausgleichend und überraschend, sondern eng. Es wirkt nur stabil, aber das ist es nicht (Parteien, denen der Spitzenkandidatsmessias wieder abhandengekommen ist, wissen, was gemeint ist). Es scheint groß, aber es ist nicht für länger gebaut. Es ist eine Heiligenverehrung ohne Religion, Fisch ohne Beilage, Urlaub am immer gleichen Ort und eine Stimme ohne Musik.
Und das ist ziemlich exakt das Gegenteil von dem, was wir machen wollten, als wir vor - hust, hust - 20 Jahren dieses kuriose Magazin namens Fleisch gründeten.
20 Jahre klingt da nach einer verdammt langen Zeit, in Wahrheit ist es aber so wie im echten Leben: Mit 20 steckst du noch mitten in der Pubertät. Du weißt, dass du eigentlich erwachsen werden solltest, aber du hast nicht wirklich Bock darauf, auch wenn mittlerweile die ersten Praktikant:innen hereinschneien, die auf die Welt gekommen sind, als es Fleisch schon gegeben hat. Das flasht gewaltig, zumindest die ersten paar Mal. Du hast auch immer mal wieder Angst, dass nicht nur die Welt um dich den Bach runtergeht, sondern auch du mit ihr. Aber dann hüpfst du drüber über das Loch, bringst ein paar gute Leute zusammen und machst weiter.
Mit 20, das sagen heute nicht nur alte weiße Männer, die mit 20 schon ihren ersten Porsche zu Schrott gefahren sind, ist man noch nicht ganz erwachsen. Man kann noch ein paar Sachen ausprobieren. Man muss es vielleicht sogar, wenn sich so viele andere auf die Couch zurückziehen, um nur noch stundenlang ihre Katze zu streicheln. Denn auch wenn die Panik rundherum manchmal groß wird: Was soll schon passieren?