Als wir uns mal ein paarmal mit Eva Menasse getroffen haben ...

Fleisch 72, Herbst 2024
Text: Martina Bachler, Markus Huber

Eva Menasse kann ein ziemlich harter Knochen sein, leicht erregbar, ein bisschen spitz und so streng, dass man sich sofort zu fürchten beginnt. „Jetzt habt ihr es echt geschafft, dass dieses Projekt genau in meine anstrengendste
Arbeitswoche hineinragt und es ist noch so viel zu tun und ich habe überhaupt keine Zeit“, schreibt sie mir kurz vor der Frankfurter Buchmesse, als ich ihr einen Teil dieses Interviewhefts zur Autorisierung schicke, „ihr werdet warten müssen.“ Vier Stunden später kommt die Freigabe, sie schickt auch noch die Liste mit den wichtigsten Erzählungen, die ihrer Meinung nach jeder lesen sollte, dann noch einen Witz und alles mit dem Zusatz versehen: „Bücherliste, teilweise beim Friseur geschrieben.“

Ungefähr so war es auch, als wir darüber zu reden begannen, ob wir dieses
Interviewprojekt wagen sollten, es war so bei der Organisation der Termine, des Fotoshootings, bei der Bitte nach privaten Fotos und ihren ersten journalistischen Texten: Eva Menasse ist jemand, der zunächst einmal sehr skeptisch ist, weil jede Anfrage zusätzliche Arbeit macht und alles durcheinanderbringt, worauf sie eigent- lich wirklich keine Lust hat, was sie einem auch sehr direkt sagt, um es dann trotzdem zu machen, mit großer Akribie, Präzision – und anscheinend auch jeder Menge Spaß.

Für dieses Gespräch haben wir uns viermal getroffen. Einmal sind wir ihr in die Sommerfrische nach Bad Ischl nachgefahren und haben sie zwei Stunden vom Wandern abgehalten, was vielleicht nicht ganz so schlimm war, es war nämlich arschkalt und regnerisch. Dann haben wir uns in ihrem Wochenend-/Sommer-/ Rückzugshaus in Brandenburg getroffen, einem kleinen Holzhaus an einem See kurz vor der polnischen Grenze, etwas mehr als eine Autostunde von Berlin entfernt. Wir haben Eva ins Fotostudio geschleppt und dann auch noch auf einen Tennisplatz im Prater. Nein, nicht zum WAC, was ziemlich naheliegend gewesen wäre, weil Eva dort wesentliche Teile ihrer Kindheit verbracht und über das Biotop dieses sozialdemokratischen Aristokratenclubs in ihrem ersten Roman geschrieben hat.

„Nur über ihre Leiche“ würde sie sich auf die WAC-Terrasse setzen und schlau reden, hatte sie gemeint, also haben wir gleich hinter dem Zaun, beim Nachbarclub Schwarz-Blau, Asyl bekommen und schlau geredet. Vor allem über den WAC.

Am Ende haben Martina Bachler, Eva und ich etwas mehr als 13 Stunden geredet, gestreckt auf einen Zeitraum von sechs Wochen. Es ist in dieser Zeit sehr viel passiert auf der Welt, auf Donald Trump wurde geschossen, in Ostdeutschland wurden drei Landtage neu gewählt und jedes Mal die AfD massiv gestärkt, genauso wie ganz zum Schluss, in der Autorisierungsphase, als Eva über ihre Antworten sehr streng drüberging, auch in Österreich. An den grundlegenden Themen und Evas Thesen hat aber nichts davon etwas geändert. Eva glaubt nach wie vor, dass wir in einer sehr viel besseren Welt leben, als wir es jemals zuvor getan haben, dass wir uns aber von einem Überangebot an Dauerberieselung verrückt machen lassen. Eva würde diese Kurzzusammenfassung wohl besser und pointierter formulieren, aber inhaltlich stimmt es. Es waren spannende Gespräche, intensive Gespräche, und das Auffälligste war, dass wir dabei mit mindestens zwei Eva Menasses gesprochen haben: Einmal mit Eva Menasse, der Schriftstellerin und aktiven Zeitgenossin, die unsere Gegenwart analysiert und dabei ziemlich streng ist.

Diese Eva Menasse ist eine sehr reflektierte und professionelle Person, sie spricht langsam, präzise und schnörkellos, ihre Sätze sind klar und druckreif, immer, es gibt keine Füllwörter, keine „Ahs“ und „Ähs“, man könnte ein Mikrofon hinstellen und einen Podcast produzieren, auch nach drei Stunden ernsthaften Gesprächen noch, während die Gelsen durch ihren Garten fliegen und unaufhörlich pieksen.

Und dann gibt es noch die andere Eva, die, die lacht und Witze macht, die hochinteressiert an Gossip ist und auch ordentlich was beitragen kann. Das ist die Eva, die die Bühne betritt, wenn man über früher redet, über das „profil“, in dem wir beide in den frühen 90er-Jahren gearbeitet haben, beide damals ziemlich jung, und eigentlich nicht nur gearbeitet, sondern große Teile unseres Lebens verbracht haben, und zwar mit allem, was spätpubertierende Menschen so interessiert. Die Eva, die dann auftritt, ist extrem vertratscht und schrecklich neugierig und hat ein ähnliches Elefantengedächtnis für Gossip, was für mich ein bisschen peinlich ist - aber andererseits auch für sie. Da gleiten die Gespräche dann ab, und es braucht dann immer eine Vollbremsung und quietschende Reifen, um die Kurve zu dieser ernsthaften Intellektuellen hinzubekommen, die man aus dem Fernsehen kennt: Aus dem „Literarischen Quartett“ und der „Sternstunde Philosophie“, die ihre Meinungs- und Debattenstücke in der ZEIT abdruckt oder in der FAZ.

Das macht die Interviews so spannend. Eva ist kein Quatschkopf. Sie ist niemand, der streiten will, niemand, dem es in seinen Äußerungen und Debattenbeiträgen um die pure Provokation geht. Die ist ihr nämlich egal. Im Gegenteil: Sie hat Lust an der Argumentation, deswegen haut sie manchmal Sätze hin und hätte gern, dass du etwas dagegenhältst. Und wenn es nur deswegen ist, um an ihren eigenen Argumenten noch zu feilen.

Das Beste daran, mit Eva Menasse ein Interviewheft zu machen, ist aber, dass sie genau weiß, worum es geht und was wir von ihr wollen: Ein Interview, das nicht nur schlau ist, sondern auch als sehr langer Text funktioniert. Dementsprechend Zeit lässt sich Eva für die Autorisierung dieses Interviews. Am Ende wird sie fast zehn Tage daran gearbeitet haben, an ihren Antworten und manchmal auch an unseren Fragen. Sie schärft nach, präzisiert und sorgt auch dafür, dass plötzlich in den Texten ein Rhythmus drinnen ist, der vorher noch nicht da war. Im Interview hat sie davor erzählt, dass sie so auch ihre Bücher macht: Erst etwas hinschreibt und dann immer und immer wieder drübergeht, bis es wirklich sitzt. Sie nennt das „flöhen“.

Und seit wir die Autorisierung dieses Textes haben, wissen wir, was sie damit meint. Ja, Eva ist einfach wirklich ein harter Knochen. Auch zu sich selbst.

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