"Zwischen 23 und 27 war ich
unzerstörbar"

Fleisch 70, Frühjahr 2024
Text: Martina Bachler                           

Der Percussionist Martin Grubinger hat mit nur 40 Jahren seine Karriere beendet. Im Sport wäre das nicht ungewöhnlich, in der klassischen Musik ist es das schon. Über das Gefühl, nicht mehr gut genug zu sein.

 

Du hast mit 40 als Percussionist aufgehört, trotz des Erfolgs, trotz ausverkaufter Konzerte, trotz langer Tourneen. Das Publikum hatte definitiv nicht genug von dir. Aber du von ihm?

Ich war nie süchtig nach dem Publikum, vielleicht ist das mein Vorteil. Es gibt Musiker:innen, die den Auftritt brauchen, den Applaus, die Zuneigung, und deshalb auch dann noch auf der Bühne stehen, wenn sie sich damit eigentlich selbst keinen Gefallen mehr tun. 

So wolltest du nicht werden?

Ich wollte nicht in der Situation sein, dass Menschen ins Konzert kommen und Nostalgie verspüren, weil sie sich erinnern, wie gut ich einmal war. Ich wollte aufhören, bevor ich schlechter werde.

Wann hast du zum ersten Mal bemerkt, dass du nachlässt?

Schlagwerker sind am besten im Alter von 23 bis 27, und das war auch bei mir so. 

Credit: Walter Wobrazek

Du hast mit 40 aufgehört. Es ging doch nicht 13 Jahre lang bergab mit dir?

Zwischen 30 und 40 musste ich noch einmal mehr üben, als ich es zuvor schon getan hatte. Der Aufwand war größer, aber auch die Erwartungen. Das Publikum kam nicht mehr, um sich überraschen zu lassen, sondern um einen Solisten zu sehen, der die Erwartungen an ihn erfüllt. Da durfte ich nicht enttäuschen. Kein:e Musiker:in darf das, jedenfalls nicht als Solist:in.

Es gibt Solist:innen, die bis zu ihrem Tod auf der Bühne stehen und nie und nimmer eine zweite Karriere einplant hatten.

Manche von ihnen haben offenbar leider niemanden, der ihnen sagt, dass sie eigentlich nicht mehr öffentlich auftreten sollten.

"Das Publikum kam nicht mehr, um sich überraschen zu lassen, sondern um einen Solisten zu sehen, der die Erwartungen an ihn erfüllt. Da durfte ich nicht enttäuschen. Kein:e Musiker:in darf das, jedenfalls nicht als Solist:in."

Ist Schlagwerk da vielleicht einfach mehr Sport als Klavier oder Gesang?

Es ist sicherlich körperlich anstrengender. Für mich war es aber auch ein mentales Thema.

Und das ließ sich nicht lösen?

Zwischen 23 und 27 war ich unzerstörbar. Ich spielte all diese sehr komplexen Werke, alles auswendig, und alles gelang. Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, dass ich in einem Konzert ein Blackout haben könnte, einen Moment, in dem ich nicht weiß, wie ich weiterspiele.

Und dann kam so ein Aussetzer?

Das Niveau war bis zum Schluss akzeptabel, es ging da zum Glück nur um Nuancen. Mit Ende 30 hatte ich aber dann auch den Punkt erreicht, an dem ich etwas zu verlieren hatte. Wenn dich Lorin Maazel etwas zerknirscht ansieht, während du mit den Wiener Philharmonikern spielst, weißt du, dass es gerade hakt. Gott sei Dank kommt so etwas sehr selten vor. Aber mit zunehmendem Alter wird man etwas nachdenklicher. Gerade wenn man ausschließlich zeitgenössische Musik auf diesem Niveau spielt.

War das der Punkt, an dem du begonnen hast, über eine zweite Karriere nachzudenken?

Mein Anspruch war immer die Perfektion. Als dann schlaflose Nächte kamen, weil etwas nicht so gelungen ist, wie ich es wollte, gab mir das zu denken. Ich hatte zwei Konzerte, in denen ich momentan nicht mehr weiterwusste. Wenn die Tournee dann noch 18 weitere Konzerte vorsieht, weißt du nicht, wie du das überleben sollst. Ich ging jeden Tagen in den Proberaum, übte, übte und übte. Das war der Modus, wie ich damit umgehen konnte. Ich wusste aber, dass ich nicht ewig so weitermachen will.

Sportler werden nach dem Ende ihrer Karriere Trainer, du hast eine Professur am Mozarteum und baust eine Musik-App auf. War dir schnell klar, wie es weitergehen wird?

Ich hatte beides bereits begonnen, und somit war mir klar, dass nicht die große Leere auf mich wartet, wenn ich mich von der Bühne verabschiede. Ich war mir sicher, dass es die richtige Entscheidung ist. So wie bei Leistungssportler:innen ist es auch bei den Musiker:innen: Du fängst sehr, sehr früh an, wirklich viel an dir zu arbeiten. Es entscheidet sich mit neun, zehn Jahren, wie gut du werden kannst. Wenn du Ende 30 aufhörst, hast du schon eine ziemlich lange, sehr intensive Zeit hinter dir.

Und jetzt bist du entspannt?

Ich sehe sehr positiv in die Zukunft, weil wir an etwas arbeiten, das die Art, wie wir Musik vermitteln, revolutionieren wird. Der Musikunterricht in der Schule wird derzeit zu oft mit negativen Aspekten assoziiert: Die Lehrer sollen nicht passen, die Kinder den Unterricht verweigern. Dabei ist Musik das Geilste auf der Welt, und ich will, dass das noch viel mehr Menschen wieder erfahren. Und ich will das richtig, richtig gut machen.

So wie bei der Musik?

Ja, aber es ist eine völlig andere Aufgabe, und ich muss das alles auch erst lernen, das Technische genauso wie meine eigene Begeisterung auch auf andere zu übertragen. Ich wundere mich manchmal bei den Studierenden, wie viel weniger Begeisterung für ihre Sache sie mitbringen, obwohl sie sich das selbst ausgesucht haben. Ich hab am Ende meiner Karriere sicher mit noch mehr Begeisterung gespielt und noch besser, weil ich da wieder sehr frei im Kopf war. Diesen Zustand muss man für sich finden.

Die Rolling Stones verdienen auch mit der 20. Abschiedstour noch hervorragend. Hat es dich nicht gereizt, doch noch weiterzumachen?

Hat mich nicht gereizt.

Und was ist mit einem Comeback? Auch Thomas Muster hat es zum Beispiel noch einmal wissen wollen.

Das kommt nicht. Thomas Muster ist übrigens ein hervorragender Schlagzeuger.

Martin Grubinger, 41, ist Professor für klassisches Schlagwerk & Multipercussion an der Universität Mozarteum und baut mit Red Bull die App „MyGroove“ auf, über die Musikunterricht mit professionellen Musikern wie Grubinger möglich werden soll.

Erschienen im Frühjahr. Fleisch 70 – Wann hat die Zukunft ihren Glanz verloren? - ist bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! 

FLEISCH VERLAG GMBH
HOLLANDSTRASSE 14/TOP 17B
1020 WIEN
 

TELEFON
0043 1 2360 544

FAX
0043 1 2360 544-9

MAIL
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!