Reich werden mit Youtube

Fleisch 65, Herbst 2022 
Text: Heidi List

Nirgends lernt man so schnell, richtig und ehrlich und quasi sofort, reich zu werden, wie auf YouTube. Wir haben es ausprobiert und es ist Gold wert. 

 

Jeder kennt es: Da gab’s letztens diesen einen Moment, als ich kurz vor einer Deadline, okay, es war kurz danach, etwas zu schreiben hatte. Dazwischen rief jemand an, weil ein Gast für die Sendung, für deren Redaktion ich arbeite, absagt­e, schade, alles umsonst, ein neuer Gast musste her und für ihn musste ein neues Dossier geschrieben werden, bis zum nächsten Tag. Und plötzlich kam Kind 1 herein und merkte an, dass der Computer nun endgültig kaputt sei, und ich dachte mir: Was mache ich hier eigentlich? Ich arbeite zu viel, aber ich hab’ gena­u nichts. Hab’ mir kein kleines Heim zusammengespart, in dem ich immer wohnen kann, weil sobald die Kinder draußen sind, sponsert ihr Vater die Wohnung nicht mehr mit, also werd’ ich woanders hinziehen und es wird klein sein. Derweil wollte ich einmal eine Hütte am Teich mit einer Veranda und einem Schaukelstuhl. 

Dann saß ich auf dem Bett von Kind 2 und fragte Vokabeln ab – Französisch. 

„Repenser?“ 

„Überdenken.“

Und da wusste ich: Es stimmt. Ich muss das jetzt alles neu aufstellen. Ich werde reich – und frei! Ich kann ja auch enorm viel arbeiten UND reich werden und nicht abnorm viel arbeiten und deswegen keine Zeit haben, reich zu werden. Ich brauche das nur umzudrehen. 

Ich suchte also nach YouTube-Tutorials zum Thema „Reich werden“, denn ich hatte fest vor, mir das anzuhören und einfach zu befolgen.

Sofort poppte Gerald Hörhan auf, der Investment Punk. Gerald Hörhan bringt alles mit: Gute Ausbildung, war sogar in Havard, ist Selfmade Millionär mit Immobilien in Deutschland und Österreich, hat eine große Jüngerschaft, die er anweist, wie sie auch reich werden kann in seiner Investment Punk Akademie. Man glaubt, man hält ihn nicht aus, aber er sagt Sachen mit seiner lustigen Stimme, die man auf einmal versteht – und man schaut immer weiter zu. Er hat Toptipps. Irgendwann hat man halt einen Tinnitus. 

Gerald Hörhan sagt zum Beispiel, dass man auf ein Dreigestirn achten soll, das in Balance ist, das heißt: Liquidität, Immobilien und Schulden. Von der Liquidität, sagt er, braucht man nicht zu viel, vielleicht 10 Prozent vom Nettovermögen, und Schulden nimmt man als Kredite auf die Immobilien auf, da geht man zu maximal 80 Prozent des Immobilienwertes. Das ist dann alles steuerschonend und Inflation spielt einem da sogar in die Taschen, sagt er. Zum Drüberwürzen dann ein Portfolio von Aktien, die durchaus stabil sein sollen, zum Beispiel Mercede­s (fast 9 Prozent Rendite!), ja und halt auch Kryptowährungen, 6 Prozent Bitcoin und so, da kann man wieder einsteigen. Der NFT-Hype ist aber Abzocke, da rät Hörhan ab.

Wenn man also nur Konsumkredite und Eigenheime spart, für die man sich totschuftet, ist man ein Sklave, sagt Hörhan auch. Dann hatte er noch die Nachricht, dass die Inflation eine breite Bevölkerungsschicht schlicht enteignen wird. Das ganze Jahrzehnt wird ein Wahnsinn, es geht diesbezüglich zu wie in den 70er Jahren. Und wir haben noch acht schlimme Jahre. Wer in Sicherheit nur 40 Stunden arbeiten will und überhaupt, die New Resignation, Leute, die nicht mehr g’scheit arbeiten wollen, die werden alle arm. Und zwar alle. 

Ich war nach diesem Video sehr fröhlich. 

Nicht. 

Liquidität, Immobilien, Schulden, Aktien, Kryptos, aber keine NTFs!

Was genau in den 1970ern los war, habe ich dann nicht mehr erfahren, ich musste doch das jetzt alles umsetzen. Und zwar schnellstens! Weil ich dürfte schon arm sein: Ein anderer YouTuber – es spült die ja einfach so rein, es gibt so viele, das hört überhaupt nicht mehr auf, wenn man einmal damit anfängt – sagt­e nämlich, die Mittelschicht hat durchschnittlich 200.000 Euro auf der Seite. 

Die hätte ich gern, hab’ sie aber nicht, daher bin ich wahrscheinlich arm. Und genau das will ich ändern und mach’ das jetzt à la Hörhan und schau mich also nach einer Immobilie um.

Schnell wird klar: Ich brauche aber eine Anzahlung für eine Immobilie, damit der Kredit was wird, den ich dann als Selbstständige aber sowieso nicht bekomme. Ein weiterer YouTuber rät, man muss einfach die Verwandten auch fragen, oft liegt ja in der Familie Geld herum. Sehr, sehr guter Tipp. Ich habe also bei den Eltern nachgefragt, ob irgendwo ein Erbonkel herumhängt, auf den sie vergessen haben, aber nein, sie sagen immer noch, es gibt keinen. Wie jedes Jahr, wenn ich nachfrage. Aber irgendwo sei eine Kiste mit Strassschmuck, den keiner haben will. 

Okay, danke. 

Also, wie kann ich in meiner jetzigen Hand-in-den-Mund-Situation weitertun? „Vereinfache deine Finanzen“, hieß ein weiteres Video. Ein kultiger Youngster mit Kultbart und Kultpräsenz YoYoYo-te mir folgende Weisheiten ins Ohr: Keine reinen Shoppingkreditkarten haben, weil da bis zu 18 Prozent Zinsen drauf sind. Nicht gemeint sind Kreditkarten wie Visa oder Mastercard, weil die braucht man dann sehr wohl beim Online-Shopping. 

Wusste ich gar nicht, dass es andere Kreditkarten als normale Kreditkarten gibt, dachte, das gibt’s nur in Amerika. Weiters habe ich nicht einmal irgendeine Kreditkarte, weil sie mir gesperrt wurde, weil ich einmal nicht flüssig war. Das war vor zehn Jahren, dazwischen, vor allem vor Reisen, habe ich drum gebeten, mich wieder zu entsperren. Obwohl Geld da war, haben sie’s mir nicht mehr gegeben. Jetzt gibt’s die Debit Card, mit der kann man eh reisen, und alle können mich kreuzweise. Für einen Betrag von 1.000.000 Euro nenne ich gerne die Bank. Man sieht, ich bin jetzt schon viel besser, was Finanzen angeht. 

Versicherungen soll man sich auch anschauen, sagt wiede­r ein anderer Experte auf YouTube, man ist ja so leicht überversichert. Bin draufgekommen, dass ich schleunigst zumindest irgendeine Versicherung abschließen muss, inklusive Erlebensversicherung und Pensionsversicherung, denn sonst nage ich später nicht einmal am Hungertuch, weil ich mir keines leisten kann.

Nächster Tipp: Finanzen analysieren und dann ein monatliches Budget aufstellen. Man muss da die variableren Kosten aufstellen, also Kleidung, Essen gehen, Kino, und die fixen Kosten wie Miete und den Betrag, den man jedes Monat spart und irgendwann investieren will. Der Sparbetrag heißt bei mir „Oje, schon wieder ist eine Projektwoche der Kinder zu zahlen“-Betrag oder auch „Das Auto braucht für das Pickerl eine Reparatur, die grad und grad noch machbar ist“-Geld. 

Der YouTuber sagt außerdem, wenn man das mit dem Sparen anfängt, womit man dann Zinsen erwirtschaftet und dann Zinseszinsen, und das alles für die Pension tut, dann sollte man so zwischen 25 und 30 sein, damit das Sinn hat. Ich bin sehr dankbar, verlautbaren zu können, dass der Zug diesbezüglich abgefahren und schon irgendwo im Kaspischen Meer versunken ist. Brauch’ ich mich gar nicht mehr zu bemühen. 

Ein anderer Guru, der sich auch Guru nennt, zwinker zwinker, rät, Schulden zu machen. Also keinen Konsumkredit, sondern in das eigene Humankapital soll ich investieren. Bildung erhöht den eigenen Wert. 

Ich weiß, die Chance­n für einen Kredit stehen besonders für freiberufliche Alleinerzieherinnen mit zero Sicher­heiten sehr, sehr gut, das wird großartig! 

In meinem Fall könnte ich eine Reise zu Goldminen  machen, so als Weiterbildung. Gute Idee. Es gäbe da eine große in Usbekistan, dann in Indonesien, zwei Goldminen sind in Nevada (USA). Ah, und eine in der Dominikanischen Republik, das ist gut, dort reise ich hin. Sie werden mich bestimmt bald schürfen lassen, als Praktikantin, und wenn nicht, lasse ich mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Auch ein gutes Investment in meine Nerven, zum Beispiel. 

Ich glaube, ich befolge das alles, fantastisch, mein Mindset ist schon auf den Kopf gestellt. Der Guru rät auch, dass man schauen soll, mehr Geld zu verdienen, weil dann kann man mehr sparen. Er ist fast unheimlich erleuchtet. Dann soll man nicht über seine Verhältnisse leben, egal, wie viel Kohle man hat. Ich würde ja sehr gern unter meinen Verhältnissen leben, aber dann leben wir im Park. 

Dann: Man soll sich Zwischenziele stecken, immer mehr Geld verdienen, mehr auf die Seite legen, erhöhen, noch mehr, noch reicher, bis man echt reich ist. Gut, ich setze mir das Zwischenziel „Mehr Kartoffeln kochen, kein Ben & Jerry’s-Eis mehr kaufen“, da muss schon gewaltig viel überbleiben. 

Lustlos sah ich mir das Roulette-System an, das reich machen soll, und noch irgendein „100 Euro pro Tag garantiert“-Video, aber es war so ein offensichtlicher Blödsinn. Lieber arbeite ich weiter an meiner Immobilie. Werde ein Vogelhaus kaufen, wer weiß, vielleicht fliegt ein reicher Spatz vorbei und zahlt mir was. 

Hab keine reinen Shopping-Kreditkarten!

Und dann war sie da, die Seite meines zukünftigen Glücks, mit dem Video „Reich werden ohne Geld“. Juhu!

Wenn man ein Hobby hat, das man gut kann, dann kann man auch Influencer werden. 50 Euro in eine Website investieren, Partnerverlinkungen suchen zu Werbern, damit man mitverdient, zack – reich. Eine durchschnittliche Millionärin in den USA wird das im Alter von 58 Jahren. Okay, ein paar Jahre habe ich noch bis dahin, hoffentlich gehen die nicht mit dem Grübeln drauf, was zum Geier ich so gut könnte, dass einer werben wollte auf meiner Website, die ich übrigens schon seit Jahren plane. Seitdem zahle ich auch für die Domain, aber weit und breit keine Website. „Selber schuld“, braucht keiner zu sagen – ich hab’s zuerst gesagt. 

Eine weitere gute Idee für die schnelle Kohle ist Import/­Export. Sachen von Alibaba oder solchen Seiten billig kaufen und die dann teuer hier anbieten auf Amazon als Store, den man da gründet, oder Willhaben oder was. Da bleibt dann was über. Und man wird reich. Oder auch nicht, denn wenn ich das mit den Paketen so betreibe, wie wenn ich nur einen Brief einwerfen muss, den ich meist nach Wochen zerknödelt als grausigen Fund in einer meiner Taschen wiederfinde, dann endet es damit, dass meine Wohnung ein Lager wird mit zum Beispiel 5.000 Einrädern. 

In dem Zusammenhang war auch der Rat, sich alte Möbel zu besorgen, die zu restaurieren und dann teuer zu verkaufen, toll. Weil das kann jeder sicher fantastisch, besonders ich. Ich habe einmal einen alten Fauteuil von meiner Urgroßmutter nur umgedreht, um ihn abzustauben, dann hatte ich eine von den Federn im Auge. Das wurde blau und ich habe versucht, die Fede­r wieder in ihre Schranken zu weisen, sie wollte nicht, jetzt hängt der Fauteuil durch, die Feder auch, und ich sehe seitdem verschwommen. Unwahrscheinlich, dass das eine Nische sein kann, das Zerstören von anderer Leute Urgroßmuttermöbeln. Andererseits könnte ich’s vielleicht schon mal inserieren: Wollen Sie sich Ihr Karma nicht versauen und trotzdem die Möbel der alten Bißgurn zerstören? Rufen Sie mich an! 

Aber gut, das waren Tipps „Reich werden ohne Kohle“, mit der Zusatzanmerkung, dass das alles mit Kohle halt schon einfacher geht. Ich muss bald mal wieder meine Eltern anrufen und fragen, ob eigentlich Strassschmuck was wert ist. 

Geschwächt stolperte ich dann noch über Bodo Schäfe­r, einen der Typen, die Hallen füllen und Bestseller schreiben. Ich erfahre, dass von den 80 Millionen Deutschen eine Millio­n Millionäre sind, zwischen 60 und 80 Prozent aus eigener Kraft. Und denen geht es nicht um Luxus, sondern um Freiheit. Daher investieren sie ein Leben lang in ihre Bildung und in ihre Kontakte und Netzwerke, um frei zu sein. Und den Reichtum zu pflegen. Dazu gäbe es Glaubenssätze, die Geld anziehen und nicht abstoßen. Werte schaffen, dann käme das Geld. Die Reichen sind weiter von der Mittelschicht weg als die Mittelschicht von den Armen. Und so. 

Mir kam grad gar nicht so schlimm vor, kein Geld zu habe­n, dafür muss ich nicht dauernd netzwerken und Kontakte pflegen. Wenn ich zwei Monate auf der Couch liege, fällt das keiner Sau auf. Außer vielleicht den Kindern und der Dame von meiner Hausbank, die mir seit zehn Jahren die Kreditkarte verweigert. 

Just da stieß ich auf ein Porträt von Christoph Heumann, der den Leuten beibringt, wie man lebt, ohne Steuern zu zahle­n. Es stellte sich heraus, der reist in 40 Länder im Jahr, hie und da dockt er in Panama wieder an, dort, wo es ohnehin prächtig steht um Steuervermeidung. 

Verdien mehr, dann sparst du mehr!

Um 4.500 Euro bekommt man dort eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Dazu muss man eine Geschäftsidee aufs Papie­r schreiben, zum Beispiel „Professionelles Spielen mit den eigenen Zehen“ oder „Regenbogenverwalter“, und ein Konto eröffnen. Am meisten verdient man dort, wenn man was Billiges aus China kauft und dann gleich nach Deutschland verkauft. Damit alles zoll- und steuerfrei ist. Das ist jetzt aber sehr langweilig – bis auf’s Meer dort. 

Heumann hält in aller Welt Seminare über seine Gedanke­n, in Wien hat er unter anderem gesagt, die Leute sollen alle reich werden und dann freiwillig für Krankenhausbauten spende­n oder Straßen bauen lassen. Das ist nach den Pandemie-­Erfahrungen in den letzten Jahren ein besonders merkwürdiger Gedanke, die Leute tun gar nicht so gerne was für andere oder die Allgemeinheit, weniger als befürchtet und viel weniger als erhofft. 

Ich beneide den Typen nicht um sein arbeitsreiches, steuer­freies Leben, wie er da so alleine im Pool sitzt mit seinem Drink und weiß, er muss in zwei Wochen wieder abhauen, ins nächst­e Land. 

So, was mache ich mit den Erkenntnissen? Ich glaube, ich miste einmal die Kästen aus, dann mache ich einen Flohmarkt. Mit dem Geld gehe ich dann ins Casino. Niemals lasse ich mir vermiesen, dass ich bei allen Unwegsamkeiten und meinen wirklich wohlstandsfeindlichen Glaubenssätzen meinen höchstpersönlichen Grundsound kaputtmache, der mir als Kind schon gesagt hat, dass alles gut werden wird. 

Ich bin eine Optimistin.

Und damit nicht ganz mittellos. 



Erschienen im Herbst 2022. Fleisch 65 – Geld – ist bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! 

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