Wer in einer Bauernfamilie aufwächst, wächst mit dem Satz auf: „Du weißt eh, wer die Einzigen sind, die uns Bauern helfen?“ In Lehrerfamilien ist das ähnlich, nur, dass die Partei, um die es geht, eine andere ist und insgesamt mehr um die Ecke kommuniziert wird. Also schon auch emotionale Erpressung, aber mit einer Brise Pädagogik. Es ist mehr ein Hinführen, eine behutsame, fast flüsternde Stimme, die sagt: „Wähl das, mein Liebling, oder du wirst enterbt!“ Das Kind soll selbst entscheiden, solange es sich richtig entscheidet. Wenn man aus einer Familie kommt, die beides, also Bauern- und Lehrerfamilie ist, dann ist die Zeit des Wahlkampfs ein Graus. Dann ist man dankbar, wenn Sonntagmittag vorbei ist.
Wenn es weder Suppe noch Nachspeise gibt. Und auch beim Hauptgang mehr geschluckt als gekaut werden kann. Hauptsache fertig und schnell wieder weg. Es soll Menschen geben, bei denen das so ist. Doch für viele andere ist die Zeit des Wahlkampfs eine willkommene Abwechslung vom täglichen Befindlichkeitsgeschwurbel am Küchentisch. Endlich geht es nicht mehr nur um Arbeit, Schule, den nächsten Arztbesuch, das nächste Begräbnis. Endlich geht es nicht mehr darum, warum beim Nachbarn gestern die Jalousie den ganzen Tag unten war. Endlich wird wieder politisiert.
Erschienen im Herbst 2019. Fleisch 53, bestellbar im Abo oder als Einzelheft unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!